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Meggendorfer-Blätter — 61.1905 (Nr. 745-757)

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Nr. 754
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https://doi.org/10.11588/diglit.28176#0123
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Meggendorfer-Blätter, München

Die Macht
meinem geübten Zöllnerauge ein Paket von verhältnismäßiger
Größe entziehen sollte, jedoch abermals vergeblich.
,Und der perr Müller braucht doch den Safran so dringend/
sagte zu allem Ueberflusse noch der Kommis.
,Bitte, kommen Sie heute nachmittag noch einmal her — das
Paket muß sich finden!' Zögernd entfernte sich der junge Mann.
Mir war alle Lust zum Addieren vergangen. Mo konnte nur das
Paket stecken? plötzlich durchzuckte mein Gehirn ein Gedanke.
Das Paket kann bei uns nicht verloren gegangen sein — es

Woderne Allegorien.

Die „Unschuld."


Tod im Werden.

Mch bin allein. Durch späte Frühlingsschwüle
Rieselt ein warmer Regen auf das Land.
Ueber die hohen Gräser streicht der kühle,
Verlor'ne Wind mit weicher Liebeshand.

Die Birken träumen. Ihre Kronen schweigen
Wie weise Märchen, die vergessen sind . . .
Nur manchmal lispelt in den jungen Zweigen
Lin müdes Blatt, aus das ein Tropfen rinnt.

Linst kannte ich ein Mädchen, das ist tot.
Doch unsre Liebe war wie dieser Tag
Lin Werden, über dessen Morgenrot
Lin ahnungsschweres, stilles Weinen lag.
F. Xaver Kappus.

ist nicht da — folglich ist es gar nicht aufs Zollamt gekommen
— es mußte aus versehen im Postamt geblieben sein. Ich
stürmte auss Postamt, das zum Glücke ganz in der Nähe war.
,Sie haben mir ein Paket zu wenig abgeliefert. Zeigen Sie
mir das Uebernahmeverzeichnis!' rief ich dem Postamtsdiener
zu, doch triumphierend blitzte sein Blick, als er mir im Ver-
zeichnis die Nummer 455 zeigte, unter welcher unmittelbar
meine Unterschrift stand, durch die ich den Empfang bestätigt hatte.
Inzwischen war es Mittag geworden, aber die Lust zum
Lssen war mir vor Aerger vergangen. Um zwei Uhr erschien
der Kommis wieder. ,Der perr Müller läßt sich empfehlen, er
muß den Safran heute noch haben.' Ich hatte meine Fassung
wiedergewonnen und versuchte zu imponieren. ,Das Paket ist
nicht zu finden, der Verlust wird Ihnen ersetzt werden. Was
kostet der Safran?' Selbstverständlich hätte ich den Betrag aus
meiner Tasche ersetzen müssen; ich hatte mich bereits mit dem
schrecklichen Gedanken vertraut gemacht, hiefür meinen Monats-
gehalt zu opfern. Als aber der Kommis nach einem Blicke in
die Faktura, die er in der pand hielt, ,sechshundertdreiund-
vierzig Franken!' ausrief, da — blieb ich stumm. Diese Aus-
kunft übertraf eben meine kühnsten Erwartungen bei weitem.
Ich konnte nichts tun, als den jungen Mann für morgen noch-
mals zu bestellen; ich erwog tausend Möglichkeiten. Gestohlen?
Lächerlich! Wer wird Safran stehlen, da gab es andre Dinge.
Vielleicht irrtümlich von jemand mitgenommen; aber dann hätte
man das Paket doch schon wieder zurückgebracht. Ls war eben
weg und ich hatte sechshundertdreiundvierzig Franken zu blechen.
Lin trauriges Faktum!
Kaum hatten wir am andern Morgen das Amt wieder
geöffnet, so erschien auch schon der Kommis, diesmal in Be-
gleitung seines Lhefs. ,Das Paket ist leider immer noch nicht


Die „Ehre."
 
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