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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 24.1896 (Nr. 262-274)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16562#0073
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Meggendorfers humoristische Blätter.

69

Von seinem Ktandpunkt.

Kchneegestöber.

linglingling! - Uur „iiil,sMii l'eivegt sich der pferde-
bahnwagen auf der glatten Babn und durch das
Schneegestöbcr bis zur ksaltestelle.

Zmei Daiuen eilen auf ihn zn.

„Bedaure, alles besetzt!" tönt es aus dem Utunde des
Schaffners.

„Das ist ja aber schrecklichl" sagt die ältere der beiden.
„Ls ist dies nun schon de, ' tvageu!"

„G bitte, nesimeii Sie i. . doch init l" slötet die jüngere.

„Das gesit gegen meine Insiruktioiil" entgegnet der erbar-
iiinngslose Schaffner und gibt das Glockenzeichen zum weiterfahren.

Tsiränen perlen in den Augen der juiigeii Danien, die sosort
auf deu geräteten kvangen zu kleinen Liszäpfchen gefrieren.

„kvas beginnen wir nun?" sagt sie, „ineine kfände und
Füße sind wie abgestorben und im Gesicht sticht es inich wie
mit tausend Nadeln. Soviel war die ganze langweilige Ge-
sellschaft bei Aintsrichters nicht wert! Ich begreife nur nicht,
ivie Du dieser Linladung Folge leisten konntesil"

„Aber, Aind, mach inir doch nur keine vorwürfel Als
wir von tsaiise fortgingen, war das wettcr wunderschön; wer
konnte asinen, daß es sich plützlich so ändcru würdel Und der
Frau Amtsricht"" war ich den Lesuch schou lange schuldig, das
war nicht zu . .gehen. Nun, weine nicht, Aind, wir wollcn
eine Oroschke nehmenl"

„Ia, wenn die bei dein wetter zu haben waren. Zch sehe
nirgends eine. wir werden zu Fuß gehen iniissenl"

„Das ist sehr schliiuin. wie wollen wir denn vorwärts
kominen, der wind treibt einein ja den Schnee ins Gesicht, daß
man absolut nichts sehen kann."

„Ia, es lsilft aber doch nichtsl wollen wir noch länger
siehen und uns eine Lrkältung zuziehen? Also vorwärts, Mama,
so gut es gehtl"

Die Damcn setzten sich in Beivegnng, aber es ging herzlich
schlecht, die altc pustete und ächzte iu allen Toiiarleu und aneh
die junge hatte mit dein tiiiwetter zu kämpfeii. Zudein gc-
rieten ste in Gefahr, mit anderen ihnen Lntgegenkoiiimenden
zusammen zu lanfen und bci den Straßenübergängcn war es
fast lebensgefährlich, denn der Schnee dämpfte das Rollen der
Räder und das Anrufen der Autschcr, das fortwährende Läuten
der Pferdebahuen konnte nur die Lage verschlimiiiern.

„Puh l Bertha ich kann nicht mchr!" stülsiiie die alte Dame,
stehen bleibend. „Ia, wo bist Du denn?"

„bfier, iNama!" töntc es lsinter ihr.

„!Nit wem sprichst T>u denn da?"

„Mit dem Assessor Römer, lNama l"

„ivas? der unausstelsiiche Meusch läuft uns in den iveg?
der hat uns gerade noch gefelsit. !Nir ist schon seinc iinier-
lsiiltung im Salon zuwider, mcint er etwa, ich solle mich uoch
aus der Straße in diesem lvetter mit ilsiii lsiiiftelleu?"

„Sei doch nicht so böse, Mama, er ist doch gar nicht schlimm.
Lr bietet uns seine Bcgleitiiug an."

„Ach was, ich dauke dafür. Lieber will ich im Schnee
stecken bleiben . . ."

„Gnädige Fran sind selsi ungelsiiltcn, bei dem abscheiilichen
lvettcr, auch gar nicht auders möglichl" tönte eine wolsikliiig-
ende Männerstiinme. „Ich will auch durch meine Gegeuwart
die Stimmung nicht noch verschlechtern. Das gnädige Fräuleiu
lehnt meine Begleitung nicht ab, hoffe ich."

Dabei schwankte er auf die andere Seite und bald entspaiin
sich zwischen dcn jungen Leuten eine fröhliche Unterhaltung,
die von Zeit zu Zeit von der alten Dame mit einem bruinmi-
gen „Unerhörtl" oder „Unausstehlich I" oder „Lästigl" begleitet
wurde.

So ging es die lange, halbdunkle Tiergartenstraße entlang
bis in die Nähe des Zoologischen Gartens, wo die villa des
Geheimrats Brenten lag. Der lveg wurde immer schlechter,
immer schneeverwehter, bis mit einem Male die Frau Rätin,
die einige Schritte voraus ging, einen Schrei ausstieß:

„Wir bleiben steckenl"

Ls schien in der That so. lfier in der Liusamkeit hatte
der Wind lveg und Steg verwcht und ungehenre Schneemassen
aufeinandergctürmt.

Der Assessor lief lsin und her, aber nirgends war ein Durch-
gang zu sindeii.

„Za, meine Damen," sagte er, „es wird Zhneu weiter nichts
übrig bleiben, als sich meinen Armen anzuveetrauen."

„Sie wollen uns lsinübcrtragcu?" entsetzte sich die Rätin
„Um keinen Preis l — Du wirst doch nijhtj'Bertha?" wandte
sie sich an die leise lachcnde Tochter.

„lveshalb nicht, Mamachcn, das ist ja romantisch!"

„Du mit Deinen Zdeenl Aber durch müsseii wirl"

„Nun, dann bittel" Und ehe sie sich's versah, hatte der
Assessor die junge Damc auf seine starken Arme genommen und
trng sie leicht wie eine Feder dnrch den Schnee.

„wie in dem Roman paul und virginie!" sagte sie lachend.
„ksier Max und Bertha, das klingt ebenso gut!" Lr sah
zu ihr auf: ihr lieblich gerötetes Gesicht war noch uin einen
Schein röter geworden.

„Bertha," sagte er von seinen Gefühlen überwältigt, „lassen
Sie mich Ihnen sagen, was mich schon lange bewegt . . ."
„Aber, lferr Assessor, in dieser Situation . . ."

„Gerade jetzt, wo wir allein sind. Ich habe ja sonst nie
Gelegenheit, Ihre Mama bewacht Sie ja mit ivnhrer Lifersucht."
„Ls ist doch aber nicht schicklich . "

„was frägt ein liebendes Lserz danach? Bertha, gestehen
Sie, ich bin Zhnen nicht ganz gleichgiltigl"
 
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