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dem jedem Freunde Pouffins unverftändlichen Vorwurf
gegen das „Literarifche“ des Meifters der Bacchanalien,
gegen feine Trockenheit, gegen feine mangelhafte
Farbe? Faft muß man annehmen, der an Vorurteilen
freifte aller Künftler habe fich nicht der Abneigung
gegen einen Stoffkreis erwehren können, den ihm fpät-
geborene illegitime Nachkommen des großen Pouffin
verhaßt gemacht hatten. Vielleicht hat ihm diefer Auf-
fatz nur deshalb die Qualen bereitet, von denen das
Journal berichtet, weil er letzten Endes nicht zufrieden
damit war.

Alle Auffätze, nicht am wenigften der über Pouffin,
find, fo unperfönlich ihre Form erfcheint, fo gefliffentlich
er immer nur das Sachliche im Auge behält, Nieder-
fchläge feiner Stimmungen, feines Schickfals, feiner Lei-
den und Freuden. Unbewußt macht er Raffael und
Michelangelo und die anderen, denen er fich mit be-
wundernswerter Hingebung widmet, zu Wortführern
feiner eigenen Sache. Er unterfucht, wieweit das ihm
feindliche zeitgenöffifche Akademikertum angelichts
jener großen Meifter die Forderung der objektiven Zeich-
nung, der übertriebenen Detaillierung auf Koften des
Ganzen, der engen Nachahmung der Antike aufrecht-
zuerhalten vermag, und findet in ihnen unwiderlegliche
Verneiner der Schulweisheit der Klaffiziften und der
Unveränderlichkeit ihres Schönheitsbegriffs. Doch bleibt
jede eigennützige Polemik fern. Stets zielt der gelaffene
Kämpfer auf reine Erkenntniffe zum Beften aller. Stets
geht die Gültigkeit des Bekenntniffes über den Sonder-
fall hinaus. Viele Meinungen, mit denen fich ein Maler
im Zeitalter Ingres’ herumzufchlagen hatte, ftehen
heute als verladene Ruinen vor uns, und Delacroix gäbe
uns nichts, wäre ihm nur gelungen, uns zu überzeugen,
wie hinfällig fie fchon in feinen Tagen waren. Aber

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