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Bruchftüeke über das Schöne, das Ideal und
den Realismus1

SIE glauben das Schöne gefchaffen zu haben, wenn
lie bis zum Überdruß gerade Nafen und Röhren,
die antike Falten fein wollen, wiederholt haben. Wel-
chen Geift können fie in diefe ewigen Nachahmungen
hineinbringen! Kann man wirklich nur auf eine Art
l'chön fein? Soll die Phantalie der Menfchheit aller
Zeiten und aller Breiten ftets nur an die Bewunderung
diefer Vorbilder gebunden fein? Sie lind herrlich, zu-
geftanden. Was ich abweife, ift die blinde Nachahmung.

Der Silen ift fchön, der Faun ift fchön, der Sokrates
ift fchön. Göttlich ift der Kopf des antiken Sokrates,
die glatte Nafe, die großgewölbte Stirn, die kahle Platte,
die dicke Lippe, die kleinen Augen. Der Silen, der
Faun und viele andere Charaktergeftalten lind in der
Antike aus Stein. Man begreift ohne Mühe, daß
der Stein, die Bronze, der Marmor im Ausdruck der
Einzelheit eine gewilfe Genauigkeit verlangen. Diefe
wird zur trockenen Härte, wenn man fie in Malerei
nachmachen will. Die Malerei hat die Farbe, die Licht-
wirkung und kommt dadurch der unmittelbaren Nach-
ahmung der Natur näher. Sie erlaubt lebhaftere, un-
vorhergefehene Einzelheiten.

Ift das Schöne jenes ergreifende Gefühl beim Anblick
eines Bildes oder einer Radierung von Rembrandt, einer
Szene von Shakefpeare, wenn wir fagen: wie fchön ift
das! Oder ift es das Gefühl, das uns vor den geraden
Nafen und fauberen Gewändern der Girodet, Gerard ufw.
erfaßt? Alfo, gibt es ein Rezept für die Konfektion des

1 Alles Folgende ift nicht in Form von Auffätzen gefchrieben worden, fondern
fand lieh in Heften auf Zeichenblättern, in Skizzenbüchern ufw. und wurde
erft nach dem Tode Delacroix’ veröffentlicht. Einzelheiten, namentlich die
erften Teile der Bruchftücke, hat Delacroix in den Auffätzen benutzt.
 
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