Kindern. Man hat die Masse getadelt. Ganz dasselbe könnte
man mit nicht geringerem Recht Rubens vorwerfen. Wer die
Masse tadelt, der mangelt des Sinns für Nuancen auf einem Feld,
wo Nuancen alles bedeuten. Innerhalb einer Art, der nur die
Schönheit eine Grenze zieht, leben Tausende von Individuen. Was
sie einander ähnlich macht, die farbige Form des Malers, scheint
das durch keine Unterschiede zu verwischende elementare Wesen
des Weibes zu sein, und wir empfinden die Gemeinschaft wie
eine sichere Gewähr für die Lebensfähigkeit dieser Geschöpfe.
Das gemeinsame Zeichen der Art hindert nicht eine weitgehende
Charakteristik. Da ist das Mädchen aus dem Volke, da die
Tochter des Bürgers, da die Aristokratin. Wir erkennen sie nicht
auf den ersten Blick, keine abgebrauchten äußerlichen Unterschiede
unterscheiden. Im Nackten zeigt Renoir die Rasse. Da ist das
robuste Kind des Landes, das in allen Fährnissen der Großstadt
die kostbare Einfalt behält, die wir so oft an der kleinen Pariserin
bewundern. Da ist die geborene, zarte, schlanke Großstädterin.
Sie sieht natürlicher aus, als Kenner der Französin zugeben mögen.
Aber dringt der Kenner tief genug in jenes widerspruchsvolle Wesen,
auf dessen Grunde sich immer noch die naive Lebensfreude erhält?
Gute Augen können auch heute noch in dem sündigen Paris viele
Mädchen Renoirs auf der Straße vorbeieilen sehen. Der Typus
ist mindestens ebenso sachlich wie die Cocotten Lautrecs. Hier
walzt in üppiger Schleppe die verwöhnte Schöne im Saal des
Faubourg St.-Germain, mit der kaum wahrnehmbaren nasch-
haften Keckheit in Blick und Haltung, und führt den Herrn, während
sie sich führen läßt. Dort tanzt sie im billigen Sommerkleidchen
in Bougival, nur selige Sonntagsfreude. Solche, sich dem Genre
nähernden Szenen, die ein zusammenfassender Griff über alles
Genrehafte erhebt, sind verhältnismäßig selten. Renoir bedarf
nicht des Mannes, um die Frau, wie er sie sieht, zu schildern. Er
gibt von ihr nicht nur das, was sie dem Manne gibt. Sein Instinkt
erhebt sich über die fälschende Beziehung der Geschlechter zu
einander. Er zeigt die Frau am liebsten allein und trifft etwas
von der verwunschenen Einsamkeit des Weiblichen inmitten unserer
Welt. Oder er zeigt sie mit der Freundin, der Vertrauten, zeigt
jene Fülle zartester Beziehungen zwischen Mädchen und Mädchen,
Frau und Frau, die untrennbar von dem Weiblichen sind, an die
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man mit nicht geringerem Recht Rubens vorwerfen. Wer die
Masse tadelt, der mangelt des Sinns für Nuancen auf einem Feld,
wo Nuancen alles bedeuten. Innerhalb einer Art, der nur die
Schönheit eine Grenze zieht, leben Tausende von Individuen. Was
sie einander ähnlich macht, die farbige Form des Malers, scheint
das durch keine Unterschiede zu verwischende elementare Wesen
des Weibes zu sein, und wir empfinden die Gemeinschaft wie
eine sichere Gewähr für die Lebensfähigkeit dieser Geschöpfe.
Das gemeinsame Zeichen der Art hindert nicht eine weitgehende
Charakteristik. Da ist das Mädchen aus dem Volke, da die
Tochter des Bürgers, da die Aristokratin. Wir erkennen sie nicht
auf den ersten Blick, keine abgebrauchten äußerlichen Unterschiede
unterscheiden. Im Nackten zeigt Renoir die Rasse. Da ist das
robuste Kind des Landes, das in allen Fährnissen der Großstadt
die kostbare Einfalt behält, die wir so oft an der kleinen Pariserin
bewundern. Da ist die geborene, zarte, schlanke Großstädterin.
Sie sieht natürlicher aus, als Kenner der Französin zugeben mögen.
Aber dringt der Kenner tief genug in jenes widerspruchsvolle Wesen,
auf dessen Grunde sich immer noch die naive Lebensfreude erhält?
Gute Augen können auch heute noch in dem sündigen Paris viele
Mädchen Renoirs auf der Straße vorbeieilen sehen. Der Typus
ist mindestens ebenso sachlich wie die Cocotten Lautrecs. Hier
walzt in üppiger Schleppe die verwöhnte Schöne im Saal des
Faubourg St.-Germain, mit der kaum wahrnehmbaren nasch-
haften Keckheit in Blick und Haltung, und führt den Herrn, während
sie sich führen läßt. Dort tanzt sie im billigen Sommerkleidchen
in Bougival, nur selige Sonntagsfreude. Solche, sich dem Genre
nähernden Szenen, die ein zusammenfassender Griff über alles
Genrehafte erhebt, sind verhältnismäßig selten. Renoir bedarf
nicht des Mannes, um die Frau, wie er sie sieht, zu schildern. Er
gibt von ihr nicht nur das, was sie dem Manne gibt. Sein Instinkt
erhebt sich über die fälschende Beziehung der Geschlechter zu
einander. Er zeigt die Frau am liebsten allein und trifft etwas
von der verwunschenen Einsamkeit des Weiblichen inmitten unserer
Welt. Oder er zeigt sie mit der Freundin, der Vertrauten, zeigt
jene Fülle zartester Beziehungen zwischen Mädchen und Mädchen,
Frau und Frau, die untrennbar von dem Weiblichen sind, an die
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