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Meier-Graefe, Julius [Editor]; Renoir, Auguste [Ill.]
Auguste Renoir — München, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.27183#0132
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der alles Genrehafte weit hinter sich läßt. Aber, könnte man
fragen, wäre die Wirkung die gleiche, wenn es z. B. kein Genre-
bild gäbe und infolgedessen die Reaktion auf die blasse Senti-
mentalität ihre Würze verlöre? Würden wir auch dann noch die
Höhe des Sprungs ebenso sicher zu messen vermögen? Zu großen
Kunstwerken gehört die Wirksamkeit großer Impulse. Wir müssen
über das Sichtbare hinweg auf starke Empfindungen blicken können,
um die auf das höchste Maß gesteigerte Form dauernd zu ertragen.
Man vermöchte dem Manet nicht den endgültigen Platz im Schloß
unserer Träume anzuweisen, weil wir nicht immer mit gleicher
Freude auf das mit größter Lebendigkeit dargestellte Paar blicken
würden. Seine Form ist zu fertig, um unserer Empfindung etwas
übrigzulassen, sie illustriert zu reich eine Seite des Lebens, die
uns für die Ewigkeit zu klein scheint. Das andere Paar wird uns
schon deshalb nicht zuviel werden, weil es sich nicht aufdrängt.
Es nötigt uns nicht, uns mit den vergänglichen Einzelheiten seines
Daseins zu beschäftigen, ist weniger eine Illustration des modernen
Lebens als ein in zwei beliebigen Menschen gesammeltes Gefühl.
Man wird nicht dem einen Bilde Renoirs alles geben wollen,
was Manet versagt bleibt, aber wird in der Richtung solcher
Bilder, in ihrer Art eine sicherere Gewähr für die Dauer der
Freuden erblicken, die sehende Menschen aus der Kunst gewinnen
können.

Mit dem Gruppenbildnis der Töchter seines Freundes Catulle
Mendes, das 1888 entstand, wurde die robuste Periode des Malers
nach einer besonderen Seite hin erweitert. Mit dem Bilde erschien
Renoir 1890 ausnahmsweise im „Salon“, dem er seit 1883 fern-
geblieben war. Man kann sich denken, daß er es für geeignet hielt,
die noch immer widerspenstigen Kreise der Offiziellen zu gewinnen.
Es ist bis zu einem gewissen Grade ein Salonbild. Die Subjektivität,
die es so wenig wie irgendein, anderes Werk Renoirs verschweigt,
rückt mehr als sonst das eminente Können des Meisters in den
Vordergrund, ohne zu große Zumutungen an den naiven Sinn des
Betrachters zu stellen. Wer die Malerei liebt, kann eigentlich, sollte
man glauben, den meisterlichen Qualitäten des Werkes nicht die
Anerkennung versagen. Es fällt uns nicht leicht, uns heute eine
Zeit vorzustellen, die auch vor diesem Bilde immer noch an dem
Märchen von dem Revolutionär festhielt.

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