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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]
Das Kuppelgrab bei Menidi — Athen, 1880

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https://doi.org/10.11588/diglit.1123#0059
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— 53 —

Stande oder den Besitzverhältnissen ihrer Inhaber unterscheiden, dagegen sind landschaft-
liche Unterschiede nicht zu bemerken. Die Grabstätten in Argolis und Attika stimmen nicht
nur in der Form der Anlage, sondern auch im Stil und in den Ornamenten der darin ge-
borgenen Schmucksachen und Geräthc in überraschender Weise überein. Die Gräber in
Böotien und Lakonien sind zwar im Innern noch nicht untersucht, aber die Form und die
Technik der Anlagen war dieselbe wie in den beiden erstgenannten Landschaften. Dieser
einheitliche Charakter der Gräberfunde ist eine Thatsache, die unsere Aufmerksamkeit in
hohem Grade verdient. Sie bestätigt, was aus andern Gründen anzunehmen ist, dass nem-
lich die Cultur, mit deren Erzeugnissen wir es zu tbun haben, nicht auf griechischem Boden
erwachsen und zur Blüthe gelangt, sondern als etwas Gewordenes und bereits Fertiges von
aussen her nach Griechenland verpflanzt worden ist. Wäre das Erstere der Fall, wäre die
CultLU' in Griechenland einheimisch, so würden sich ähnliche Unterschiede zwischen den
Gräbern der verschiedenen Landschaften erkennen lassen, wie sie in der historischen Zeit
in Sitte, Kunst und Industrie bestanden haben und unter dem nivellirenden Einfluss der
Zeit und Geschichte erst spät und nie vollständig verschwunden sind.

Aber der einheitliche Charakter der vorhistorischen Gräber Griechenlands beschränkt
sich nicht auf die Kunstübung allein. Wir reden von den Gräbern von Mykene und Spata
und gebrauchen damit eine Bezeichnung, die, im gewöhnlichen modernen Sinne gefasst,
leicht den Thatbestand verdunkeln und zu Missverständnissen Veranlassung werden kann.
Wir denken dabei unwillkührlich an Einzelgräber. Um solchen irrigen Vorstellungen vor-
zubeugen, verdient es hervorgehoben zu werden, dass jene Gräber nicht als Einzelgräber,
sondern zur Aufnahme mehrerer Leichen angelegt sind und gedient haben. Dies gilt sowohl
von den Schachtgräbern auf der Burg zu Mykene als von den Kuppel- und Felsgräbern in
der argivischen und attischen Ebene und muss als ein gemeinsames und charakteristisches
Merkmal dieser ganzen Gasse von monumentalen Anlagen angesehen werden. Für die Men-
schen, welche sich diese Begräbnissplätze zur ewigen Ruhestätte einrichteten, rntiss ein Ein-
zelgrab in demselben Grade etwas Ungewöhnliches gewesen sein, als wir in Massengräbern
aussergewöhnliche, durch besondere Umstände veranlasste Vorkommnisse sehen. Diese au-
genfällige Beobachtung gestattet uns einen Schluss zu ziehen auf die gesellschaftlichen Zu-
stände, in denen sich jene bei Lebzeiten bewegten, und liefert die Erklärung für gewisse
Erscheinungen, welche bei dem Ausräumen der Gräber beobachtet worden sind und zum
Theil zu falschen Schlussfolgernngen Veranlassung gegeben haben'.

Die Massengräber nemlich, um der Kürze wegen diesen Ausdruck zu gebrauchen, wird
man sich nicht wohl anders denken können denn als Familien-oder Geschlechtergräber.
Diese Erklärung ist zu natürlich als dass besondere Beweise dafür erforderlich wären. Die
Familien-und Geschlechterverbände sind bei den meisten aus der ersten Roheit herausge-
tretenen Völkern die Grundlage des öffentlichen und privaten Rechtes geworden und geraume
Zeit geblieben. Auch im Leben derjenigen Menschen, die jetzt aus ihren Gräbern wieder
für uns aufleben, muss die Blutsverwandschaft einen grossen Raum eingenommen haben. Die
Geschlechtsgenossen, die in enger Gemeinschaft gelebt hatten, sollten auch im Tode verei-
nigt bleiben. Trat noch ein Todtencult hinzu, so war damit ein neuer Grund gegeben, die
Gebeine der Blutsgenossen an einer Stätte zu vereinigen und fremde Leichen fern zu halten.
Und es sind in der That Anzeichen vorhanden, welche schliessen lassen, dass ein solcher
Cuit auch an den vorhistorischen Grabstätten in Argolis und Attika gepflegt worden ist; ja
 
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