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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]
Das Kuppelgrab bei Menidi — Athen, 1880

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https://doi.org/10.11588/diglit.1123#0060
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— 54 —

man darf vermuthen, dass an manchen dieser Stätten, auch nachdem sie ihrem ursprüng-
lichen Zwecke nicht mehr dienten, eine sacrale Bedeutung lange Zeit hindurch haften ge-
blieben sei.

Jedes einzelne dieser Familiengräber muss der Natur der Sache nach längere Zeit be-
nutzt worden sein. Das Einzelgrab erfüllt seine Bestimmung an einem Tage; das Familien-
grab sollte eigentlich erst mit dem Erlöschen der Familie ausser Gebrauch gesetzt werden.
Man hat bis zu elf Leichen in einem und demselben Grabe gezählt. In dem Kuppelgemach
bei Menidi war die Moderschicht durchsetzt mit unzähligen Resten von Knochen und Kunst-
und Naturprodukten, welche zur Ausstattung der Leichen verwandt worden waren. Die Bil-
dung einer solchen Schicht lässt auf eine langandauernde, oft wiederholte Benutzung des
Grabes schliessen1. Es muss offenbar dafür Sorge getragen gewesen sein, dass die Grabstät-
ten in den Zwischenzeiten vor Profanation und Schlimmerem, wozu der werthvolle Inhalt
verlocken konnte, geschützt waren. Die Gräber müssen in der Regel geschlossen gewesen
sein. Indess sind nur an dem Portale des sogenannten Agamemnongrabes die Spuren eines
künstlichen Verschlusses zu bemerken. Die Thüreingänge zu den Gräbern bei Spata, Menidi
und beim Heraeon fand man bei der Ausgrabung verschlossen durch versetzte und vorge-
wälzte Bruchsteine, die zu den Thüröffnungen führenden Sfdrxot waren in ihrer ganzen Länge
verschüttet und mussten aufgesucht werden. In dem Schutt aber, der zur Ausfüllung ge-
dient hatte, fand man, und zwar in verschiedener Tiefe, Theile des Gräberschmuckes: kleine
Goldplättchen, Fragmente von Glassfluss und dgl. Man hat daraus geschlossen, dass die Grä-
ber in früheren Zeiten geöffnet worden seien, und hat darin einen Beweis gesehen für die
Beraubung derselben. Ich habe mich nicht davon überzeugen können, dass auf diese Weise
die Beschaffenheit des Schuttes in den &pdvu.oi genügend und vollständig erklärt werden kann,
selbst wenn man annähme, dass die Beraubung, und zwar in jedem einzelnen Falle, sehr
nachlässig vor sich gegangen sei. Auch sind in dem Schutte der Schachtgräber auf der
Burg von Mykene ähnliche Erscheinungen beobachtet worden, und diese Gräber sind doch
sicher nicht zum Zwecke der Beraubung geöffnet worden. Ich glaube vielmehr, dass die
Zusammensetzung des Schuttes aus der langen Benutzung der Gräber zu erklären ist, welche
nach jedem Begräbniss nicht bloss durch das Versetzen der Thüröffnung, sondern ausserdem
auch durch Zuschüttung der Spou-oi unzugänglich gemacht und gegen Profanation geschützt
wurden. Während dieser Zeit verirrte sich Allerlei vom Leichenschmuck aus der Grabstätte
in den vorliegenden Dromos, Anderes fiel wohl schon während des Leichenzuges dort ab,
und diese Abfälle geriethen dann in den Schutt, der zur Ausfüllung des Dromos diente.
Auch die Schachtgräber auf der Burg von Mykene müssen nach jedem Begräbniss zugeschüt-
tet worden sein, wie unpraktisch dies uns auch erscheinen mag. Trat dann ein neuer Todes-
fall ein, war wieder ein Mal ein Glied der Familie im Kampf oder durch Krankheit hinge-
rafft worden, so war es eine der ersten Obliegenheiten der Hinterbliebenen dem Verstorbenen
den Weg zu bahnen zu der gemeinsamen Ruhestätte.

Hier drängt sich uns nun aber unabweislich die Frage auf, in welcher Weise die Be-
stattung selbst vollzogen worden sei. Wurden die Leichen in den Gräbern deponirt? Oder

1 War der verfügbare Raum zu eng geworden, so schob man ohne Umstände die zunächst Hegenden Gebeine
auf einen Haufen zusammen oder zur Seite. Man wird gtiübun, wenn man sieh von der innern Beschaffenheit der
Gräber Rechenschaft geben will, sich an das Bild zu erinnern, welches moderne, lange in Gebrauch gewesene
Erbbegräbnisse dem Beschauer bieten.
 
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