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Meurer, Moritz
Pflanzenformen: vorbildliche Beispiele zur Einführung in das ornamentale Studium der Pflanze; zum Gebrauche für Kunstgewerbe- und Bauschulen, Technische Hochschulen und höhere Unterrichtsanstalten sowie für Architekten und Kunsthandwerker — Dresden, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.43158#0015
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gegenstandslos, sobald wir es als Erziehungsmittel zu logischem Formbilden erfassen und nutzen. Im
Gegenteil bietet es dann gerade einen wirksamen Schutz gegen Äusserlichkeit der Formgebung und
ornamentale Willkür, und der Unterweisung unserer Schule ein ähnlich wirkendes und gleich erzieh-
liches Hilfsmittel wie das Studium der hellenischen Formensprache, um den Sinn der Jugend für
eine schöne und wahre, für eine klare und schlichte Ausprägung künstlerisch er Ge-
danken zu erwecken.
Nicht die Vermehrung und Steigerung ornamentaler Formen ist es, die unserer Zeit not thut,
sondern die Vereinfachung und richtige Bemessung derselben, die Erkenntnis, dass die Vollendung des
Kunstwerkes nicht in dem Reichtume, sondern in der Berechtigung seiner Formen als eines notwen-
digen Ergebnisses ihres Inhaltes besteht. Wenn die Nachahmung der Ausdrucksformen früherer Stile
unsere technischen Künste nur zu häufig zu einer rein äusserlichen Anwendung ornamentalen Schmuckes
geführt hat, so vermag die Vertiefung in das Gestaltungsprincip der Natur, welche immer danach ringt,
den entsprechendsten und knappsten Formenausdruck für ihre Zwecke zu finden, den Künstler lehren,
folgerichtig und massvoll zu bilden, Zweck und Schmuck seines Kunstwerkes in Harmonie zu setzen.
Zeigt uns die Kunstgeschichte, dass die technischen Kunstformen nicht sowohl durch die Gestal-
tungsgesetze, sondern in gleichem Masse auch von den eigensten Formen der Naturerscheinungen und
zwar oft in der unmittelbarsten Weise bestimmt worden sind, so wäre es doch eine irrige Voraus-
setzung, nur um dieses Teiles ihrer Wirkung willen ihr Studium zu pflegen. Das Ziel desselben wird da-
her von denen verkannt, welche seinen Wert nur nach der Möglichkeit abschätzen, mit Hilfe von Ein-
zelformen der Natur die Grundlage für eine Um- und Neubildung unserer künstlerischen Formensprache
zu gewinnen. Werden wir sehen, dass es sich dabei noch um ganz andere Fragen handelt, so versagt
sich die Natur selbst schon einem äusserlichen Raubbaue. Lohnt dieselbe überhaupt nur eine wirkliche
Vertiefung in ihre Formen, so thut sie dies noch mehr in mittelbarer als unmittelbarer Weise. Vermag
die Natur auch den Künstler der Gegenwart durch ganz bestimmte Vorbilder zu einem ursprünglichen
Schaffen hinzuleiten, so würde derjenige jedoch einer verhängnisvollen Enttäuschung verfallen, welcher
ihr Studium nur mit der Absicht direkter Nutzung ihrer Formen von Fall zu Fall beginnen würde.
Das Naturstudium wird einen sicheren und dauernden Nutzen nur dann ausüben, wenn nichts
anderes von ihm verlangt wird, als es zu bieten vermag, und wenn es sich in einer Weise vollzieht, die
den Anforderungen der technischen Künste vollkommen entspricht. Dafür ist aber notwendig, dass
sich auch das Studium der Pflanze vor allem an das der tektonischen Formensprache knüpfe und mit
der Bildung ihrer Stereo metrischen Kunstformen in Beziehung setze. Der Umstand, dass es bisher
vorwiegend nur mit Rücksicht auf das Flachmuster geübt wurde, hat (wie z. B. die Textilindustrie
zeigt) wohl auf dieses, auf die architektonischen Formen aber noch wenig gewirkt. Soll aber eine
durchgreifende, gesunde und stetige Wirkung des Naturstudiums vorbereitet werden, so muss sich zu-
nächst die Baukunst als Mutter der technischen Künste desselben bemächtigen und ihm die Wege
weisen. Auf ihrem Gebiete muss der Hebel eingesetzt werden.
Baut sich auch die künstlerische Erziehung unserer Kunstgewerbeschulen auf der Grundlage
der tektonischen Lehren auf, so muss sich auch die Unterweisung im Naturstudium an dieses Funda-
ment angliedern. Dies bedingt weiter, dass die Vorbilder der Natur nach Struktur und Form nicht
wie bisher bloss zeichnerisch für das Iflachornament, sondern auch in plastischer Wiedergabe studiert
werden müssen, dass das Modellieren nach pflanzlichen wie nach tierischen Erscheinungen fleissig

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