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Meurer, Moritz
Pflanzenformen: vorbildliche Beispiele zur Einführung in das ornamentale Studium der Pflanze; zum Gebrauche für Kunstgewerbe- und Bauschulen, Technische Hochschulen und höhere Unterrichtsanstalten sowie für Architekten und Kunsthandwerker — Dresden, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.43158#0043
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II.

Übersetzung der Naturformen in die Kunstformen.
(Stilisierung der Naturformen.)
Haben wir uns in dem Vorangegangenen vergegenwärtigt, wie mannigfaltig die Naturformen in
den Kunstformen thätig, wie abhängig sie gleichzeitig aber auch von derem Wesen sind, so geschah es,
um zu dem Schluss zu kommen, dass, wie alle Vorbilder, so auch die natürlichen Erschei-
nungen in den tektonischen und technischen Künsten nur als dienendes, nicht aber
als selbständiges Element auftreten; dass sie daher auch nicht in ihrer Erscheinung
als solcher, sondern nur als Ausdrucksmittel für die selbständigen Ideen des Kunst-
Werkes angewendet werden dürfen.
Indem der Künstler die Vorbilder in seinen Dienst stellt, muss er sich also seiner eigentlichen
Aufgabe bewusst bleiben: das Erzeugnis mitsamt seinem Kunstformenschmucke dem Zwecke ent-
sprechend zu bilden, für welchen es erdacht ist und dieser Aufgabe muss er die Anwendung der natür-
lichen Formen wie jeder anderen Vorbilder stets unterordnen. Die Formgebung des Kunst-
werkes und seine Dekoration kann und darfalso nur soweit von der Nachahmung des
Vorbildes beeinflusst werden, als dieses durch seine Erscheinung den bestimmten
Zweck und die besondere Bedeutung des Kunstwerkes treffend zum Ausdruck zu
bringen vermag.
Wie demnach überhaupt alle Vorbilder die Formen des Kunstwerkes nur in ganz bedingter
Weise beeinflussen, indem sie dem Künstler oft nur die allgemeinsten formalen Elemente zur Aus-
gestaltung solcher Kunstformen an die Hand geben, welche in ihrem eigensten Wesen seinem künst-
lerischen Gefühle und seinem Vermögen entsprungen sind, den Sinn bestimmter Zweckformen ver-
körpern zu können, so bieten die Naturformen und speciell die Pflanzen in ihrer individuellen Erscheinung
wieder nur einen Teil der vorbildlichen Ausdrucksmittel, welche dem technischen Künstler zu Gebote
stehen. Dem steht die Thatsache nicht entgegen, dass schliesslich alle Formen der Kunst in den Erschei-
nungen der Natur enthalten sind, wenn dieselben auch nicht als individuelle Vorbilder, sondern nur als
Grundelemente angewendet werden, deren Kreis die menschliche Fantasie nicht überschreiten kann.
Die Unmöglichkeit, die natürlichen Formen unmittelbar anzuwenden, liegt wesentlich darin, dass
sie in ihren Trägern den eigensten Bedingungen derselben und damit oft ganz anderen Zwecken dienen,
als denen, welche die Kunstformen zum Ausdruck zu bringen haben.
Wenn wir wissen und überall erkennen, dass die Formen und Organe der Naturerscheinungen
nur die Verkörperung der ihnen zu Grunde liegenden Ideen sind, so ergiebt sich schon daraus die
grundsätzliche Verschiedenheit der natürlichen und künstlerischen Formen. An allen ihren Formen

Die Vorbilder
(Naturformen) als
dienendes Ele-
ment der Kunst-
formen.

Die Grenzen
für die Benutzung
der Naturformen.

Die Formen
der Naturerschei-
nungen als Ver-
körperungen ihres
Wesens.

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