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Meurer, Moritz
Pflanzenformen: vorbildliche Beispiele zur Einführung in das ornamentale Studium der Pflanze; zum Gebrauche für Kunstgewerbe- und Bauschulen, Technische Hochschulen und höhere Unterrichtsanstalten sowie für Architekten und Kunsthandwerker — Dresden, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.43158#0048
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Die wechselnden Eigenschaften des Materials: die Art und der Grad seiner Festigkeit und
Zähigkeit, seiner Bildsamkeit oder Widerstandsfähigkeit; die Lagerung seiner Atome; seine Erweich-
barkeit und Erhärtungsfähigkeit, seine Geschmeidigkeit, Biegsamkeit, Ausdehnungsfähigkeit, Elasti-
cität u. s. w. gebieten eine gleich wechselnde Gestaltung nicht nur der Zweckformen, sondern auch der
Schmuckformen in der technischen Kunst, der sich auch die den letzteren zu Grunde liegenden Naturformen
fügen müssen. Nicht weniger bedingt die Technik des Materiales eine verschiedenartige Behandlung
der Formen, beziehe sich diese auf eine Bearbeitung des Werkstoffes von aussen nach innen, wie es
beim Meisseln und Schneiden, oder in umgekehrter Weise beim Modellieren, Treiben und beim Bilden
auf der Töpferscheibe stattfindet — werde die Form aus weicher oder flüssiger, sich später erhärtender
Masse gedreht, gegossen und geblasen oder aus dehnbaren Stoffen gehämmert und gebogen —
bethätige sich die' Technik im Flachmuster in gestickten oder eingelegten, schablonierten und ge-
druckten Ornamenten oder beruhe sie auf dem Quadraturschema der Weberei und des Mosaiks: immer
wird die der jeweiligen Kunstform zu Grunde liegende Naturerscheinung in einer Formgebung verwendet
werden müssen, welche den Bedingungen der Werkstoffe vollkommen entspricht, gleichzeitig aber auch
durch die jedesmalige Technik und ihre Hilfsmittel so bequem und so schön als möglich auszudrücken ist.
So erfordert die verschiedene Faser und Spaltungseigenschaft des Holzes eine andere Form-
behandlung des vegetabilen Ornamentes, als sie durch das Korn und die Bruchart des Steines bedingt
ist. Das Metall lässt eine leichtere, naturalistischere Behandlung der schmückenden Naturform zu, als
der Stein: die Haltbarkeit des ersteren schmiegt sich bequem den zierlichen und schwanken Pflanzen-
gebilden an, während die Rücksicht auf die bei gleichem. Umfange viel geringere Festigkeit des letz-
teren zu einer Übersetzung derselben in geschlossene und minder frei ausladende oder dickere Formen
zwingt; die widerstandsfähigere, zähere und biegsame Eigenschaft des geschmiedeten Eisens gegenüber
dem gegossenen gewährt aber wieder dem ersteren einen weiteren Spielraum. Auf dem Gebiete .der
textilen Künste veranlasst nicht sowohl die Eigenschaft der Rohstoffe, wie das wechselnde Schema
der Stoffeinheiten und ihre Verbindungsart eine wechselnde Behandlung der natürlichen Motive; den
gleichen Einfluss übt die Herstellungsart,. sei es durch die besonderen Eigenschaften maschineller Erd-
zeugung oder die freieren Mittel der Handarbeit. So bewirkt das quadratische Schema der Weberei
und des .Kreuzstiches , einen spröderen Formenausdruck als die schmiegsame Technik des Plattstiches
und des Klöppelwerkes. Der feine Faden des letzteren kann die Konturen seines Ornamentes ausser-
ordentlich, beweglich gestalten, während die bandartigen Einheiten der Strohflechterei sehr übertragene
und vereinfachte Formen schaffen. Selbst die durch Material und Technik am wenigsten gefesselte
Malerei muss ihre natürlichen Vorbilder in verschiedener Weise wiedergeben: ein frei gemaltes Orna-
ment kann die Pflanz.enform in unmittelbarerer Weise benutzen, als jenes, welchem durch die Eigen-
schaften der Schablone ein Zwang auferlegt wird.
Sogar die Gerätschaften, welche der technischen Behandlung der Werkstoffe dienen, spielen
bei der Anwendung der Naturformen eine grössere Rolle als man annehmen möchte; entspringen
doch gewisse Eigenschaften der technischen Formensprache lediglich aus der Benutzung verschieden-
artigen Handwerkszeuges. So sehen wir, wie in der Steintechnik der Antike die Handhabung des
Marmorbohrers eine bestimmte Osenbildung des Akanthusblattes hervorruft, wie die Laubsäge in der
Holzintarsia eine rundlichere Bildung der Buchtungen, die Führung des Messers im Blattornamente des
Schnitzwerkes die Bevorzugung spitzwinkeliger Auszackungen des Laubblattes nahelegt.
 
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