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Meurer, Moritz
Pflanzenformen: vorbildliche Beispiele zur Einführung in das ornamentale Studium der Pflanze; zum Gebrauche für Kunstgewerbe- und Bauschulen, Technische Hochschulen und höhere Unterrichtsanstalten sowie für Architekten und Kunsthandwerker — Dresden, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.43158#0198
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Vorwort
ZU
ABTEILUNG II (T A F E L 28-45).
Laubblätter in den Bewegungen ihrer Fläche. Naturalistisch
und perspektivisch dargestellt.
Die vorangehenden Beispiele von Laubblättern waren sämtlich in einer Ebene flach dargestellt,
um zunächst Proportion, Gerippe und Silhouette deutlich zur Anschauung zu bringen. In ihrer natür-
lichen Lage weisen aber fast alle Blätter (wenn sie nicht starr sind oder wie bei manchen Wasserpflanzen
flach auf dem Wasser schwimmen) sowohl in ihrer Längen- als in ihrer Breitenausdehnung, in ihrer
Gesamtfläche wie in ihren einzelnen Teilen, Kurven und wechselndes Relief ihrer Ober- und Unter-
seiten auf.
Die Erscheinungen derjenigen Blattkurven, welche in der Vertikalprojektion der Pflanze sicht-
bar werden, sind hauptsächlich auf die Wirkung der Schwerkraft zurückzuführen, deren Einfluss, wie
wir zuvor sahen, sich auch in der planimetrischen Anordnung der Pflanzenverzweigung in erster Linie
geltend macht. Die konvexen Kurven der Blattflächen sind ein Resultat ihrer Eigenschwere. Je
gestreckter die Laubblätter in ihrer Ausdehnung sind und je widerstandloser ihr Gerippe und Blatt-
fleisch ist, um so mehr überschlagen sie sich, d. h. um so mehr geht ihr Kopfteil in eine dem Fussteile
entgegengesetzte Lage über.
Dieser Einfluss der Eigenschwere der Organe, welcher sich überall an der Pflanze geltend macht,
findet indes eine Gegenwirkung in der senkrechten Wuchseigenschaft: im »Geotropismus« der Pflanze.
Diese dem Zenith zustrebende Wuchskraft, welche sich in ihren oberirdischen Organen, am reinsten aber
im Stengel ausdrückt, kann allerorts an der Pflanze thätig werden und bildet das geeignete Mittel,
die Wirkung der Schwere an den Punkten aufzuheben oder wenigstens abzuschwächen, an welchen sie
der Pflanze zur Erreichung bestimmter Erhaltungszwecke hinderlich ist. So vermag z. B. ein Baum-
stamm, welcher durch seinen abschüssigen Standort, durch Winddruck u. s. w. in eine schiefe Lage
gekommen ist, mit Hülfe dieser geotropen Wachstumsfähigkeit in seinem oberen Teile die vertikale
Stellung wieder zu erreichen; ebenso können Zwreige und Blätter die durch die Eigenschwere oder son-
stige Bedingungen verursachte Abweichung von senkrechter Richtung wieder ausgleichen. Auf diese
Weise gehen die konvexen Überschlagskurven der Blätter bisweilen wieder in eine entgegengesetzte
konkave Kurve über, welche sie der Vertikalstellung nähert und welche man daher im Gegensatz zur
Schwerkraftskurve die Wuchskraftkurve nennen könnte. Wie der beständige Kampf zwischen Eigen-
schwere und Wuchskraft nun an der ganzen Pflanze tausendfältig wechselnde Kurvenerscheinungen
 
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