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Meurer, Moritz
Pflanzenformen: vorbildliche Beispiele zur Einführung in das ornamentale Studium der Pflanze; zum Gebrauche für Kunstgewerbe- und Bauschulen, Technische Hochschulen und höhere Unterrichtsanstalten sowie für Architekten und Kunsthandwerker — Dresden, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.43158#0439
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Abt vi. Tafel 75 u. 76. Gegenständige Verzweigung in
Vertikalprojektion.
Esche, Fraxinus (viermal vergrössert).
Dieses Beispiel gegenständiger Verzweigung ist der Esche entnommen. Es stellt den Endspross
der Hauptachse eines Schösslings dar, weil in diesem die Anordnung, die Proportionen und Stellungen
der Verzweigung am reinsten zu sehen sind, gleichzeitig aber auch alle Blattübergangsformen von der
Knospenschuppe bis zu den Laubblättern in ihrer Reihenfolge beobachtet werden können. (Vergleiche
Text zu Tafel 67.)
Die Erscheinungen der Verjüngung nach dem Scheitel zu sind an Schaft, an Blattstielen und
Rippen wie an den in ihren Fiederteilungen noch nicht entfalteten Laubblättern ebenso zu verfolgen,
wie die allmähliche Streckung der Schuppen zu Laubblättern. Gleich deutlich spricht sich die nach oben
zunehmende steilere Stellung der jeweilig jüngeren Verzweigung in allen Winkelstellungen derselben
aus. Die Wechselwirkung von Eigenschwere und Wuchskraft giebt in den Doppelkurven der Laub-
blattstiele und -rippen, welche bis in die Nervatur der Fiederteilung hinein zu Tage treten, ein Bild
des straffen und doch elastischen Liniamentes, welches den meisten Sprossformen, den jungen Trieben
der Esche aber besonders zu eigen ist.
Die seitlichen Bilder der Tafel lassen die auf brechenden Knospen in starken Vergrösserungen
sehen: in der Zeichnung rechts sind die seitlichen Knöspchen noch im jüngsten Zustande, bei dem Bei-
spiele der linken Seite beginnen sich die Laubblätter aus dem mittleren Knospenkerne schon herauszu-
schieben, die seitlichen Knospen sind im Aufbrechen begriffen.
Der Stengelquerschnitt am Fusse der Mittelfigur lässt erkennen, dass der Schaft des Sprosses
nicht rund, sondern der gekreuzten Stellung der Verzweigung entsprechend vierseitig gebildet ist; die
kleineren Figuren der Tafel zeigen je eine der verschiedenen Schaftseiten. Über jedem Knoten wech-
selt die Stellung des Schaftschnittes infolge der Kreuzstellung der nächstoberen Verzweigung zu der
vorhergehenden um; die Blattstiele setzen immer an den sich gegenüberliegenden rundlichen Flächen
des Stengels an, welche der Schnitt zeigt; nach dem Knoten zu wölben sich diese Flächen zunehmend,
wodurch eine Verdickung des Schaftes unter den Verzweigungen eintritt.
Wie diese, so giebt auch die nächste Tafel in dem Bilde der gegenständigen die einfachste
Erscheinung der quirlständigen Verzweigung. Äusser dem Schachtelhalme und manchen Nadel-
hölzern geben z. B. das Labkraut (jGaliiim. und der Waldmeister Beispiele mehrgliedriger Quirlstände.
Ein Beispiel schraubenförmiger (wechselständiger) Verzweigung ist bereits früher aufTafelöo
im Schafte des welschen Nussbaumes gegeben worden.
Unter der grossen Zahl von Pflanzen, welche wechselständige Verzweigung zeigen, giebt der
mächtige Blütenschaft der Agave in seiner 5/i3 Schraubenstellung ein prächtiges Bild dieser Anordnung.
In seiner Form einem Riesenleuchter gleichend, verzweigt er seine einfachen, nur durch enganliegende,
.schuppenartige Vorblätter belebten Äste in schön geschwungenen Doppelkurven, welche an ihrem
Ende einen Blütenbüschel tragen. In seinen reinsilhouettierten und vornehmen Linien und regelmässigen
Spiralstellungen, in seinen abnehmenden Massverhältnissen und sich verjüngenden Internodien zeigt
der Agavenschaft die architektonische Gliederung der Pflanze in geradezu monumentalen Formen.
 
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