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Meyer, Alfred Gotthold
Oberitalienische Frührenaissance: Bauten und Bildwerke der Lombardei (1. Theil): Die Gothik des Mailänder Domes und der Übergangsstil — Berlin: Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, Gropius'sche Buch- und Kunsthandlung, 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.67334#0132
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io8 Zweites Capitel. Der Uebergangsstil. II. Die Mediceer-Bank.
gerade in diesem Sinne und preist ihn als Vorkämpfer der Renaissance. Es geschieht dies
bekanntlich gerade im Hinblick auf ein Werk, welches den Vergleich mit dem Portal des
banco Mediceo besonders herausfordert: die Umrahmung der Thür, welche in S. Croce den
zur Cappella Medici führenden Gang eröffnet (Abb. 63). Darin sei „die herrliche antike
Kunstweise in einer damals ganz ungewöhnlichen Vollendung nachgeahmt“. Man hat dieses
Lob unter Hinweis auf verwandte, vielleicht zeitlich vorangehende Lösungen mit Recht
eingeschränkt,1) Thatsache aber bleibt, dafs jenes Portal wenigstens in seinem geschlossenem
Aufbau, in welchem der ornamentale und figürliche Schmuck im Fries und im Giebel so
unbedingt nur als umrahmte Füllung dient, die strenge, an der Antike geschulte Auffassung
der Florentiner Renaissancedecoration vortrefflich vertritt. So könnte es gerade vor diesem
Werk einen Augenblick zweifelhaft werden, ob derselbe Meister den Entwurf zu dem Mai-
länder Portal geliefert habe, in welchem, wie oben erörtert wurde, der Bildschmuck grofsen
Mafsstabcs so unorganisch, rein malerisch dem architektonischen Kern nur eben ganz äufser-
lich nebengeordnet ist. Allein schon dieser architektonische Kern selbst schliefst sich ja
den Florentiner Renaissancearbeiten Michclozzos und theilweise auch jener Thür bei S. Croce
in seiner ganzen Zeichnung und auch in einzelnen Profilen an. Vor allem sind die Seiten-
pilaster an beiden Werken fast ganz identisch. Auch die Detaillirung der Gebälke hat
viel Verwandtes, und vollends die Fruchtbündcl in der Archivolte des Mailänder Portales
bleiben den Fruchtguirlanden, welche am Fries der Thür von S. Croce zwischen den vier
Cherubimköpfen ausgespannt sind, aufserordentlich nah. Und auch alles das, was an
diesem Mailänder Thor und weiter an den Fenstern der Front noch als ein Zugeständnifs
an die oberitalicnische Geschmacksrichtung und als gothischc Reminiscenz erscheint, wider-
spricht ja dem kunsthistorischen Bilde Michclozzos keineswegs. Auch in Florenz hat er
nicht lediglich Dccorationcn geschaffen, die so frei nur die reine Frührenaissance athmen,
wie jenes von Vasari erwähnte Portal, das Tabernakel der SS. Annunziata, die Cappella del
Crocifisso in S. Miniato, und wie die in Verbindung mit Donatello gearbeiteten Zierstücke.
Es sei nur an die drei dreitheiligen Fenster im Gang zwischen dem vorderen Portal und
der Mcdiccerfcapelle in S. Croce erinnert,2) wo die durchbrochenen Brüstungsplatten unten,
und die beiden ausgezackten Rosetten im Bogenzwickel noch gothische Motive mit An-
klängen an die Fenster von Orsanmichele zeigen, neben dem Rundbogen und den antiki-
sirenden Säulencapitälen, der Stilmischung des banco Mediceo analog; und ferner sei auf
das Mediceerwappen im ersten Klosterhof von S. Marco hingewiesen, an welchem das
Blattwerk ebenfalls noch gothische Rcminiscenzen enthält! Nicht sogleich ist Michelozzo
jener entschlossene Vorkämpfer der antikisirenden Renaissance geworden, als welchen ihn
Vasari hinstellt, ursprünglich scheint er vielmehr den Meistern des Ueb er ganges näher
gestanden zu haben, zu denen ja auch sein erster Lehrer Ghiberti noch so beachtens-
werthe Beziehungen hat. Darauf ist erst neuerdings durch August Schmarsow mit Recht
nachdrücklich hingewiesen worden.3) Am Rectorenpalast in Ragusa, dessen untere Halle
(um 1464) auch in ihrer Decoration und in einem Theil des interessanten Bildschmuckes
ihrer Capitäle zum mindesten auf Entwürfe Michelozzos zurückgeht, bewährt er sich als
ein geistvoller Vertreter jener malerischen Spätgothik, welche vor allem dem venezianischen
Decorationsstil des 15. Jahrhunderts sein Gepräge verleiht. Nicht minder stimmt damit die
Fagade von S. Agostino in Montepulciano überein, deren zwei untere Drittel Schmarsow4)
ebenfalls für Michelozzo in Anspruch nimmt.
Michelozzo war also gerade zu einer Aufgabe, bei welcher es galt, der ober-
italienischen malerischen Geschmacksrichtung Rechnung zu tragen, wohl geeignet, besser

1) Vergl. a. a. O. Geymüllers Note 2 zu S. 8 und den Aufsatz im Jhrb. d. Preufs. Kunst-
samml. a. a. O.
2) Siehe „Die Arch. d. Ren. in Toscana“ von Stegmann-Geymüller, a. a. O. Text S. 8, Abb. S. 4,
ferner Lieferung 19 Taf, 15. Die Cappella Medici war spätestens bis 1445 vollendet.
3) Archiv. Stör, dell’ Arte. 1893. a. a. O. Vergl. auch den Text zu „Die Arch. d. Ren. in
Toscana“. „Michelozzo“ S. 24 ff., wo es am Schlüsse heifst: „Durch dies theilweise Verschmelzen von
florentinischen mit oberitalienischen Elementen erinnert dies Werk an mailändische Bauten.“
4) a. a. O. S. 250.
 
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