134 Zweites Capitel. Der Uebergangsstil. IV. Certosa.
steigenden quadratischen Eckpfeiler ein nahezu festungsartiges Gepräge geben. Nur ganz
schmale Gesimse gliedern sie, nur ganz winzige Fenster durchbrechen sie. An den Eck-
pfeilern der Sacristcien bleiben selbst die fialenartigcn Krönungstabernakel wuchtige, schwere
Körper; nur über den Eck- und Mittelpfeilern des Querhauses werden ihre Massen nach
gothischem Brauch luftig aufgelöst. In der Decoration selbst herrscht die Formensprache
des reifen Quattrocento schon vollständig, und durchaus nach Mafsgabe des national-ober-
italienischen Geschmackes. Diesen spiegelt bereits das Gesamtbild in seiner Vielfarbigkeit
von rothen Backsteinwänden, weifsen Hausteintheilen1) und bunten, meist grün glasirten
Tcrracotten. Die Bogengänge sind Nachkommen der altlombardischen Zwcrggalerien, die
Detaillirung aber läfst mit wachsender Deutlichkeit die renaissancemäfsigc Schulung hervor-
treten, am wenigsten noch an den unteren Wandtheilcn, immer nachdrücklicher, je höher
sie emporsteigen. Auf den schlicht profilirten, niedrigen Sarizzo-Sockel folgt die glatte
Backsteinmauer mit dürftigen, wenig ausladenden Gesimsen. Die Hausteinrahmen der
rechteckigen Sacristei- und der halbrund abgeschlossenen Langhausfenster zeigen nur schlichte
Profile, meist mehrere Rundstäbe.2) Reicher schon werden die grofsen Rundfenster der im
Halbkreis heraustretenden Apsiden umrahmt: ihre Backsteineinfassungen bieten gefälligen
Formenwechsel, und schon hier zeigt sich das antikisirende Kymation, schon hier ist der
starkgewundene, gothische Säulenschaft einem feineren in gleichem Linienzug gedrehten
Bande nebst Perlenschnur gewichen.3) Die Säulen der Galerien enthalten noch romanische
Anklänge, ähnlich wie an den Frontarcaden des Ospedale Maggiore in Mailand, an deren
Säulen ihre durch breite Eckblätter belebten Basen und ihre doppelreihigen Blattcapitäle
nahe Analogien finden. Dem gleichen Geschlecht gehören ferner die Arcadensäulen der
beiden Klosterhöfe selbst an, und dasselbe lieferte wohl auch die Säulen für die Hof-
fenster des Castells von Pavia.4)
Diese Arcadengalerie der Certosa zeigt bereits den mit einem breitem Rand
und, wenigstens an den Tribunen, auch mit reichen Profilen begleiteten Rundbogen. Das
stattliche, wuchtige Gesims darüber vollends — sowohl das in der Höhe der Seitenschiffdächer,
wie das Hauptgesims — ist in classischer Formensprache gehalten: prächtige Consolen,
reich gewundene Horizontalbänder mit Perlstab und „Ave“-Spruch oder mit aufgereihten
Scheiben, vertieale Riefelungen, mächtige Eierstäbe und breite Blättersimen!5) Diese volu-
minösen Glieder, die einst, als ihre farbigen Glasuren noch frisch erglänzten, wohl leichter
wirkten, sind ungemein sicher und zweckbewufst gezeichnet. Sie schliefsen sich am näch-
sten den Gesimsen und theilweise auch den Fensterrahmen der Mailänder Hospitalfront
an, nur sind sie noch wuchtiger und classischer gehalten, und bleiben ohne gothische Be-
gleitschaft. Dies giebt ihnen ihre stilgeschichtliche Bedeutung. Es scheidet sie einerseits
von den Terracottadecorationen der meisten übrigen Kirchen Pavias selbst, wo lediglich
das grofse Radfenster von Sa. Maria del Carmine ähnliche Motive aufweist, während
die übrige Tcrracottaornamcntik gerade dieser Kirchen front durch ihre noch meist gothische
Sprache zu den geschilderten Thcilen der Certosa einen bezeichnenden Gegensatz bildet,
ähnlich, wie auch die Decoration von S. Francesco. Es scheidet sie aber auch von der
eigenartigen Erscheinungsform des Uebergangsstiles, die wir am Dom von Como verfolgt
haben. Es kennzeichnet sie vielmehr als die reifste Entwicklungsstufe der am Hospital
und an der Portinari-Capelle in Mailand selbst unter Florentiner Einflufs entstandenen
Formcngebung, und diesmal stammt dieselbe von dem lombardischen Meister, der sich
immer deutlicher als ihr Hauptvertreter bewährt: von Giuniforte Solari.
Allein auch die Decoration der Certosa hat im übrigen doch auch noch eine Reihe
gothisirender Formen. Zunächst ist es auch hier das Lieblingsmotiv, welches die ober-
italienische Kunst der Gothik entlehnte: das Mafswerk. Schon an den winzigen Rauten-
1) Der Sockel und die Säulenschäfte aus Granit oder Sarizzo, die Gesimse, die Säulencapitäle,
einzelne Fensterumrahmungen im Querschiff nebst ihrem Mafswerk aus Marmor. Vergl. Durelli, Tav. 52 ff.
2) Am Fenster der Chortribuna werden dieselben in Kämpferhöhe von einem Gesims durchzogen.
3) Die gleichen Formen auch im grofsen Klosterhof.
4) Aus der Zeit des Galeazzo II. Visconti, 1360—1378 (restaurirt). Vergl. Beltrami, a. a. O. Abb. S.44.
5) Durelli, Tav. 54.
steigenden quadratischen Eckpfeiler ein nahezu festungsartiges Gepräge geben. Nur ganz
schmale Gesimse gliedern sie, nur ganz winzige Fenster durchbrechen sie. An den Eck-
pfeilern der Sacristcien bleiben selbst die fialenartigcn Krönungstabernakel wuchtige, schwere
Körper; nur über den Eck- und Mittelpfeilern des Querhauses werden ihre Massen nach
gothischem Brauch luftig aufgelöst. In der Decoration selbst herrscht die Formensprache
des reifen Quattrocento schon vollständig, und durchaus nach Mafsgabe des national-ober-
italienischen Geschmackes. Diesen spiegelt bereits das Gesamtbild in seiner Vielfarbigkeit
von rothen Backsteinwänden, weifsen Hausteintheilen1) und bunten, meist grün glasirten
Tcrracotten. Die Bogengänge sind Nachkommen der altlombardischen Zwcrggalerien, die
Detaillirung aber läfst mit wachsender Deutlichkeit die renaissancemäfsigc Schulung hervor-
treten, am wenigsten noch an den unteren Wandtheilcn, immer nachdrücklicher, je höher
sie emporsteigen. Auf den schlicht profilirten, niedrigen Sarizzo-Sockel folgt die glatte
Backsteinmauer mit dürftigen, wenig ausladenden Gesimsen. Die Hausteinrahmen der
rechteckigen Sacristei- und der halbrund abgeschlossenen Langhausfenster zeigen nur schlichte
Profile, meist mehrere Rundstäbe.2) Reicher schon werden die grofsen Rundfenster der im
Halbkreis heraustretenden Apsiden umrahmt: ihre Backsteineinfassungen bieten gefälligen
Formenwechsel, und schon hier zeigt sich das antikisirende Kymation, schon hier ist der
starkgewundene, gothische Säulenschaft einem feineren in gleichem Linienzug gedrehten
Bande nebst Perlenschnur gewichen.3) Die Säulen der Galerien enthalten noch romanische
Anklänge, ähnlich wie an den Frontarcaden des Ospedale Maggiore in Mailand, an deren
Säulen ihre durch breite Eckblätter belebten Basen und ihre doppelreihigen Blattcapitäle
nahe Analogien finden. Dem gleichen Geschlecht gehören ferner die Arcadensäulen der
beiden Klosterhöfe selbst an, und dasselbe lieferte wohl auch die Säulen für die Hof-
fenster des Castells von Pavia.4)
Diese Arcadengalerie der Certosa zeigt bereits den mit einem breitem Rand
und, wenigstens an den Tribunen, auch mit reichen Profilen begleiteten Rundbogen. Das
stattliche, wuchtige Gesims darüber vollends — sowohl das in der Höhe der Seitenschiffdächer,
wie das Hauptgesims — ist in classischer Formensprache gehalten: prächtige Consolen,
reich gewundene Horizontalbänder mit Perlstab und „Ave“-Spruch oder mit aufgereihten
Scheiben, vertieale Riefelungen, mächtige Eierstäbe und breite Blättersimen!5) Diese volu-
minösen Glieder, die einst, als ihre farbigen Glasuren noch frisch erglänzten, wohl leichter
wirkten, sind ungemein sicher und zweckbewufst gezeichnet. Sie schliefsen sich am näch-
sten den Gesimsen und theilweise auch den Fensterrahmen der Mailänder Hospitalfront
an, nur sind sie noch wuchtiger und classischer gehalten, und bleiben ohne gothische Be-
gleitschaft. Dies giebt ihnen ihre stilgeschichtliche Bedeutung. Es scheidet sie einerseits
von den Terracottadecorationen der meisten übrigen Kirchen Pavias selbst, wo lediglich
das grofse Radfenster von Sa. Maria del Carmine ähnliche Motive aufweist, während
die übrige Tcrracottaornamcntik gerade dieser Kirchen front durch ihre noch meist gothische
Sprache zu den geschilderten Thcilen der Certosa einen bezeichnenden Gegensatz bildet,
ähnlich, wie auch die Decoration von S. Francesco. Es scheidet sie aber auch von der
eigenartigen Erscheinungsform des Uebergangsstiles, die wir am Dom von Como verfolgt
haben. Es kennzeichnet sie vielmehr als die reifste Entwicklungsstufe der am Hospital
und an der Portinari-Capelle in Mailand selbst unter Florentiner Einflufs entstandenen
Formcngebung, und diesmal stammt dieselbe von dem lombardischen Meister, der sich
immer deutlicher als ihr Hauptvertreter bewährt: von Giuniforte Solari.
Allein auch die Decoration der Certosa hat im übrigen doch auch noch eine Reihe
gothisirender Formen. Zunächst ist es auch hier das Lieblingsmotiv, welches die ober-
italienische Kunst der Gothik entlehnte: das Mafswerk. Schon an den winzigen Rauten-
1) Der Sockel und die Säulenschäfte aus Granit oder Sarizzo, die Gesimse, die Säulencapitäle,
einzelne Fensterumrahmungen im Querschiff nebst ihrem Mafswerk aus Marmor. Vergl. Durelli, Tav. 52 ff.
2) Am Fenster der Chortribuna werden dieselben in Kämpferhöhe von einem Gesims durchzogen.
3) Die gleichen Formen auch im grofsen Klosterhof.
4) Aus der Zeit des Galeazzo II. Visconti, 1360—1378 (restaurirt). Vergl. Beltrami, a. a. O. Abb. S.44.
5) Durelli, Tav. 54.