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Keupp, Jan; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Die Wahl des Gewandes: Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters — Mittelalter-Forschungen, Band 33: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34735#0247
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3. Die Spielarten der Auszeichnung

247

neu gewebter Rankenbesatz ringsum umgab.«259 Dieses spektakuläre Gewandstück
wurde von den kaiserlichen Räten auf den Wert von 50000 Gulden taxiert und
sollte den Betrachter zweifellos von Rang und Reichtum seines Inhabers überzeu-
gen. Der weitgereiste böhmische Adelige jedoch zeigte sich ob jener astronomisch
hohen Summe wenig beeindruckt: »Wir aber brachten jener Angabe wenig Glauben ent-
gegen«, notierte sein Begleiter Gabriel Tetzel260. Überhaupt mochte man der Demon-
stration kaiserlichen Wohlstandes wenig abgewinnen, an anderen Höfen Europas
hätte man den Gästen alle Schätze, nicht allein ein einziges Kleidungsstück, darge-
boten261.
Der Bericht über den Mantel Friedrichs III. dokumentiert zweierlei: Offenbar
besaß der damals in der Verwahrung des Nürnberger Rates befindliche Krönungs-
mantel auch am Ausgang des Mittelalters keine exklusive Rangstellung. Der Habs-
burger vermochte zu Repräsentationszwecken vielmehr auf ein Äquivalent von
ähnlicher Güte zurückgreifen262. Bedeutsamer erscheint gleichwohl im Licht der Epi-
sode, daß die Einschätzung des Repräsentationswerts selbst kostbarster Textilen
weitgehend der Situation geschuldet im Auge des jeweiligen Betrachters lag. Die
einzigartige Realienüberlieferung des 13. Jahrhunderts stellt moderne Interpreten
daher insofern vor eine enorme Herausforderung, als das Fehlen schriftlicher
Gegenbelege vielfach nur eine spekulative Annäherung an die zeitgenössische
Wahrnehmung der Objekte erlaubt263. Will man Percy Ernst Schramms berechtig-
ten Anspruch einlösen, »im Sichtbaren Unsichtbares aufzuspüren«264, so bedarf es
punktueller Deutungsangebote durch die Quellen, um das Verborgene schlaglicht-
artig zu erhellen. Die Sinnzuweisungen der Textzeugnisse enthüllen dabei zunächst
vor allem Sichtweisen, die keineswegs durch das Artefakt als solches vorgegeben
oder definiert waren. Selbst scheinbar objektive Kriterien - im vorliegenden Fall Fär-
bung, Webart und wertvolles Dekor - boten keine Garantie für eine einheitliche
Auslegung; ebensowenig mußte die bislang gebräuchliche Lesart der textilen Sym-
bolik in jeweils gleicher Ausprägung zur Anwendung kommen. Vielmehr wird mit
Blick auf die schriftlichen Zeugnisse die Dichotomie von textiler Formgebung und
zeitgenössischer Deutung rasch offensichtlich. Stabilität im Erscheinungsbild garan-
259 Des böhmischen Herrn Leo's von Rozmital Ritter-, Hof- und Pilger-Reise durch die Abendlande
1465-1467. Beschrieben von zweien seiner Begleiter, hrsg. von Johann Andreas Schmeller (Bi-
bliothek des literarischen Vereins in Stuttgart 7,1), Stuttgart 1844, S. 133: preter unam vestem Da-
mascenam rubeam, cujus oram meandri ex unionibus et gemmis contexti palmi latitudine circumibant.
Vgl. Paul-Joachim Heinig, Verhaltensformen und zeremonielle Aspekte des deutschen Herr-
scherhofs am Ausgang des Mittelalters, in: Zeremoniell und Raum, hrsg. von Werner Paravi-
cini (Residenzenforschung 6), Sigmaringen 1997, S. 63-82, S. 72.
260 Leo von Rozmital, S. 133: Si Caesari pecunia opus esset, eam vestem oppignorari posse plus quam pro
quingentis millibus aureorum, nam aliquot gemmas in ea ostendebant, quae vicenis aut tricenis millibus
constare dicebantur. An ita vere sese res habeat, ignoro, illi quidem ita referebant, sed nos parce fidem huic
rei adhibebamus.
261 Ebd.: In hac arce pretiosiores Caesaris thesauri custodiri dicuntur, sed ii non sunt nobis commonstrati, uti
apud alios Reges...
262 Vgl. etwa zu den verschiedenen Kronen Friedrichs III. und ihrem Entstehungskontext Anna
Hedwig Benna, Zu den Kronen Kaiser Friedrichs III., in: Mitteilungen des Österreichischen
Staatsarchivs 27 (1974), S. 22-60.
263 Welche Bedeutung die Zeitgenossen aber Machart und Dekor der Herrschermäntel beimaßen,
dokumentiert die ausführliche Darstellung von Erec mit dem Quadrivium der Artes Liberales
bei Chrétien de Troyes, vgl. Krass, Geschriebene Kleider, S. 109-117 und 362-365.
264 Schramm, Herrschaftszeichen, Bd. 3, S. 1080.
 
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