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Weinfurter, Stefan; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Päpstliche Herrschaft im Mittelalter: Funktionsweisen - Strategien - Darstellungsformen — Mittelalter-Forschungen, Band 38: Ostfildern, 2012

DOI Artikel:
Heckmann, Marie-Luise: Der Fall Formosus. Ungerechtfertigte Anklage gegen einen Toten, Leichenfrevel oder inszenierte Entheiligung des Sakralen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.34754#0227

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Marie-Luise Heckmann

und zog ihr stattdessen Laientracht an. Nun schnitt man ihr mehrere Finger der
rechten Hand ab, schleifte den verstümmelten und entehrten Körper aus der Kir-
che und verscharrte ihn schließlich auf dem Friedhof für die Fremden. Später ließ
Stephan den Leichnam sogar noch ein Mal aus dem Grabe reißen und dann in den
Tiber werfen. Der Verstorbene soll allerdings vom Fluss wieder ans Land gespült
und dort von einem frommen Mönch heimlich bestattet worden sein6.

III. Die Folgen
Die unmittelbaren Folgen des Falles Formosus seien nur mit einigen wenigen
Stichworten geschildert: Schon 897 stürzte die Lateranbasilika in Folge eines Erd-
bebens ein, worin viele Zeitgenossen eine himmlische Ablehnung der Leichen-
synode erblickten. Im selben Jahr fiel der anklagende Papst einer Mordtat zum
Opfer, nachdem man ihm noch zu Lebzeiten seine Papstkleider genommen hatte7.
Bei der anschließenden Doppelwahl konnte sich ein Anhänger des Formosus ge-
gen den Antiformosianer Sergius durchsetzen. Doch auch dieser Papst starb nach
kurzer Amtszeit. Die Leichensynode wurde nichtsdestoweniger durch die Päpste
Theodor II. (August-November 897) und Johannes IX. (898-900) wieder aufgeho-
ben. Theodor ließ zudem den heimlich von einem Mönch geborgenen Leichnam
des Formosus ehrenvoll in eine neue Grablege im Petersdom überführen. Gegen
einen Toten, der sich selbst nicht verteidigen könne, dürfe auch nicht verhandelt
werden. Während die Vollstrecker der Leichenschändung exkommuniziert wur-
den, erlangten die übrigen Beteiligten sogar die Absolution8. In der Folgezeit be-
stiegen noch drei weitere Formosianer den Papstthron. Der letzte dieser kurzlebi-
gen Päpste fiel schließlich dem bereits erwähnten Sergius zum Opfer. Der
Antiformosianer kehrte nämlich sieben Jahre nach seiner Vertreibung wieder nach
Rom zurück, kerkerte den amtierenden Papst ein und ließ ihn schließlich ermor-
den. Sergius III. (904-911), der nun zum zweiten Mal die cathedra beati Petri bestie-
gen hatte, betrachtete alle seine Vorgänger seit seiner erstmaligen Erhebung von
897 als „Usurpatoren", als „Invasoren", ja als „reißende Wölfe", die in seine Herde
eingefallen seien. Keiner von ihnen besitze einen rechtmäßigen Anspruch auf den
Stuhl des heiligen Petrus9. Die Stimmung war wieder einmal umgeschlagen. Her-
vorzuheben sind die Pontifikate von Sergius III. (904-911) sowie seines doppelt so
lange amtierenden Nachfolgers Johannes X. (914-928) vor allem deshalb, weil sie

6 Zimmermann, Papstabsetzungen (wie Anm. 4), S. 56-58; Scholz, Bistumswechsel (wie
Anm. 3), S. 220-222; Ders., Politik, Selbstverständnis, Selbstdarstellung. Die Päpste in karolin-
gischer und ottonischer Zeit (Historische Forschungen 26), Stuttgart 2006, S. 240-242.
7 Liber Pontificalis, Bd. 2, hg. von Louis Duchesne, Paris 1955, S. 229; vgl. Giovanni Dome-
nico Mansi, Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio. Bd. 18A, Venedig 1773 (ND
Paris 1902), Sp. 173C-175D, bes. Sp. 175AB.
8 Ebd., Sp. 221B-223B, 225CD.
9 Zimmermann, Papstabsetzungen (wie Anm. 4), S. 59-65; Scholz, Bistumswechsel (wie
Anm. 3), S. 224-231; Scholz, Politik (wie Anm. 6), S. 262.
 
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