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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0219
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218

IVI Problematisierungen

Pintom gesteht damit zu, dass die Einnahme von Soissons selbst aus pro-
königlicher Sicht nicht vollständig ,nach Plan' verlief und die dabei verübten
Gewalttaten (teilweise) der Erklärung bedurften.^4 Pintoin nutzte hierfür die
bekannten Stereotype der Gier und Habsucht der ,fremden' Söldner, um diese
für die Gewalttaten verantwortlich zu machen - zumal deren Undiszipli-
niertheit die königlichen Krieger in einem umso besseren Licht erscheinen
ließ (vgl. S. 173-176).
Mittelalterliche Chronisten schilderten bewusst und gezielt drastische
Gewalttaten, um bestimmte Effekte zu erzielen. ,KriegsgräueE und Gewaltex-
zesse wurden nicht einfach überliefert, sondern je nach Erzählintention narra-
tiv konstruiert. In ihren zeithistorischen Kontext eingebettet, sollen sie als
Beweis für die moralische und zivilisatorische Inferiorität des politisch-
militärischen Gegners dienen.
Trotz der durch verschiedene politische Einstellungen geprägten Sicht-
weisen der Autoren stimmen die Darstellungen der Einnahme von Soissons
inhaltlich erstaunlich präzise überein; der Historiker darf also angesichts der
relativ dichten Quellenlage vermuten, dass bei der Eroberung der Stadt tat-
sächlich viel Blut vergossen wurdet Zum nicht erklär- und rechtfertigbaren
Exzess wurde die Einnahme aber nur in den Berichten burgundischer Chro-
nisten stilisiert. Gerade solche drastischen Schilderungen extremer Gewalt
sollten daher nicht als einfache Geschehensberichte gelesen werden, sondern
unter Beachtung narrativer Stereotype interpretiert werdend^ Angesichts der
ideologisch aufgeheizten Situation des Bürgerkriegs brauchte es schon die
Nüchternheit eines Parlamentsschreibers wie Nicolas de Baye, um das Ge-
schehen halbwegs neutral und distanziert zu überliefern: In Soissons „wur-
den unermessliche Verbrechen begangen, wie man sagt."^

Problemanalyse und Bewältigungsversuche - Teil II
Mit dem Tod Philipps des Kühnen 1404 gerieten die Bourguignons in die
Defensive. Philipps Sohn und Nachfolger Johann Ohnefurcht konnte die bur-
gundische Hegemonie in Paris nicht halten und zog sich zunächst zurück. Im

464 Vg], die Schilderungen zweier weiterer proköniglicher Zeitgenossen, die beide auf die began-
genen Übel hinweisen: La u;'de/Mf pdfee cf MMe parffe des moMsfiers, dowf ce/Mf domaige. Les chro-
niques du Roi Charles VII, S. 61f. Mardi, XXff* joMr de mai/; CMÜa uacaf, poMr ee ^M'ede esf afee en
proeessfow f...J poMr fa pan* ef fa prosperffe dM Roi/ ef dM roi/aMwe ef fa ufefofre tpu dfer f...J e;;f a fa
prfse de SMessoiis tpu auec^Mes pfMse;;rs geiis d'armes de fa parffe dM dMC de BoMrgoigMe, comme iMode-
dfeiis ef rede/es, se fenofenf ef esfofeiif femis fongMewenf eoiifre fMf,Jäuorfsans a;idff dMC de Boiirgofgiie,
ef da' inji'nda faefa SMMf er iw; na, ;d dfeffMr. Nicolas de Baye, Journal [1885-1888], Bd. 2, S. 185f.
Jean Juvenal des Ursins dagegen schilderte sie bemerkenswerterweise als brutal, ohne sie de-
zidiert zu rechtfertigen: Juvenal des Ursins, Histoire, S. 498f.
465 Anders verhält es sich z.B. mit der der vermeintlichen Prophezeiung des Untergangs Soissons,
die nur Basin überliefert. Basin, Charles VII, Bd. 1, S. 29, Fußnote 2.
466 Der BoMrgeois sorgte sich in seiner Schilderung der Einnahme Soissons' daher nicht stärker um
Jungfrauen und Nonnen, als um verheiratete Frauen, wie Colette Beaune, die Herausgeberin
des /oHrnaf, meint, sondern rekurrierte auf wohlbekannte Topoi, um Grauen zu erregen, vgl.
Journal d un Bourgeois, S. 77, Fußnote 50.
467 Rf da' üdNda /aefa SMMf crimina, Mf dfeffMr. Nicolas de Baye, Journal [1885-1888], Bd. 2, S. 186.
 
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