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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0315
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314

IVI Problematisierungen

allerorts Anschläge und Verschwörungen vermutet wurden.^ Essensvorkos-
ter kamen in Modems und mit der Tour /cm-saMS-Peur an der me Ehenne Marcel
in Paris manifestierte sich das gestiegene Sicherheitsbedürfnis auch baulich:
Ab 1409 ließ Johann Ohnefurcht seine Pariser Residenz durch diesen fes-
tungsartigen Turm erweitern und sichern.^ Die Angst schien derart verbrei-
tet gewesen zu sein, dass Jean Juvenal 1452 sie in einer an König Karl VI.
adressierten Rede effektvoll einbinden konnte, um diesen vor Gefährdungen
seiner Person zu warnen: „Glaubt ihr nicht, dass ihr in der Gefahr der Vergif-
tung gewesen seid? Ich will damit nicht sagen oder behaupten, dass diese
Gefahr tatsächlich bestand, aber sowohl ihr als auch ich wissen davon nichts
Genaues! "24°
Dieses Unwissen versuchte man durch Amulette oder andere Objekte aus-
zugleichen, von denen es hieß, sie könnten die Präsenz von Gift anzeigen. Das
Horn des Narwals, schon lange als vermeintliche Hörner des Einhorns ge-
schätzt, fand auch deshalb Eingang in die Schatzkammern der Fürsten, weil
es als Giftindikator gattM Die Angst vor jedweder Form von Mordanschlä-
gen scheint bei Ludwig XI. im Alter geradezu pathologische Züge angenom-
men zu haben. Philippe de Commynes schildert eindrücklich, wie der König
sich in sein Schloss Plessis-les-Tours (Dep. Indre-et-Loire) zurückzog, das er
festungsartig ausbauen und schließlich von 50 Armbrustschützen Tag und
Nacht bewachen ließ. Besucher und selbst seine Verwandten wurden nur
nach strenger Kontrolle zu ihm vorgetassen.^ Commynes nutzt diese Dar-
stellungen - wie so oft - für generelle moralisierende Überlegungen: Der Kö-
nig habe viele während seiner Herrschaft in Angst versetzt und ernte nun,
was er gesät habe; seine letzten Tage verbrachte er wie ein aus eigenem Wil-
len Gefangener.243 Tatsächlich mögen die Ängste Ludwigs überzogen erschei-
nen: Die Person des Königs galt während des ganzen Spätmittelalters wegen
ihrer sakralen Aura als tabu^ und es bedurfte schließlich religiösen Fanatis-
mus und nicht politischen Kalküls, bis französische Könige 1589 und 1610
Attentaten zum Opfer fielen.^ Dies mag aber angesichts der von Ängsten
und Gerüchten geprägten Atmosphäre des 15. Jahrhunderts nur dem Histori-

237 So etwa 1390 gegen den König: Registre criminel, Bd. 1, S. 310-322. Gegen zwei französische
Gesandte 1400 in London: Juvenal des Ursins, Histoire, S. 419. Gegen den Herzog von Orleans
1440: Monstrelet, Chronique, Bd. 5, S. 470.
238 Minois, Couteau, S. 21.
239 Monstrelet, Chronique, Bd. 1, S. 177.
240 uoMS pohd auoh csfc CM dßMg&r de cmpolsoMMcmcMS et wfodfHh'oMS? Je ne ueMÜ pas dhe OM
WHwfeMh t?Me ree/emenf i/ m/enf esfe, wals HMSs; ne uoMS ne moi/ M'en sauoMS neu. Juvenal des Ursins,
Ecrits, Bd. 2, S. 192 (Vedv weg).
241 Vg). Collard, Crime, S. 48; Collard, Pouvoir, S. 177-179. Zu den Narwalzähnen im Schatz Karls
des Kühnen siehe Spieß, Schatz, S. 276-279.
242 Philippe de Commynes, Memoires, Bd. 1, S. 469f. (VI,6) und 495f. (VI,11). Siehe dazu Favier,
Louis XI, S. 887-904; Minois, Couteau, S. 32-34.
243 Philippe de Commynes, Memoires, Bd. 1, S. 494 und 496 (VI,11)
244 Kintzinger, Maleficium, S. 97.
245 Zu Heinrich III. siehe Crouzet, Guerriers, Bd. 2, S. 474—520, sowie Le Roux, Regicide. Zu Hein-
rich IV. siehe Crouzet, Guerriers, Bd. 2, S. 589-603, sowie Petitfils, L'assassinat; Mousnier,
L'assassinat.
 
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