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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0424
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31 Ideal und Devianz

423

Vergleich als Ausgrenzungsstrategie
Eine der einfachsten Methoden, einen Sachverhalt zu bemessen und zu cha-
rakterisieren, besteht im Vergleich. Durch ihn kann der entsprechende Ge-
genstand über eine Beschreibung hinaus anhand anderer Objekte qualifiziert
und bemessen werden. So zählte Michel Pintoin in einer Klage über den Zu-
stand des Reiches zum Jahr 1419 die bekannten Gewaltstereotype auf, um sie
in dem Vergleich gipfeln zu lassen, die Exzesse glichen dem, was sich sonst
nur „die Wildheit der Sarazenen"^ ausdenken könne. Der Vergleich bietet
eine abwertende Charakterisierung des Gegners, indem dieser mit negativ
belegten und für spezifische Gruppen als typisch geltenden Strukturmerkma-
len assoziiert wird. Die negative Bewertung entspringt dabei der gefühlten
Differenz der verglichenen Gruppen in Bezug auf das ferÜMm companü/on/s,
hier dem Verhalten gegenüber Gegnern im Kampf. Insofern kann durch die
gezielte Auswahl des Vergleichsobjekts sehr fein abgestimmt werden, wie
schockierend die Gegenüberstellung angelegt sein sollte. Vergleiche, wie der
oben beispielhafte angeführte, sind in den Quellen des 14. und
15. Jahrhunderts nicht nur häufig, sondern lassen zudem klare Abstufungen
in ihrer Intensität erkennen.
Der Vergleich, dass eine Gruppe sich „wie Feinde" verhalten würde, rekur-
riert auf die spezifischen Kriegsmodi des Spätmittelalters (vgl. dazu S. 144-
147). Die Bezeichnung als ,Feind' ist zwar negativ, impliziert aber dennoch
einen gewissen Rechtsstatus im Rahmen der Kriegsführung: Der Feind war
der legitime Kriegsgegner, der seinerseits das Recht hatte, Krieg zu führen.
Wenn die königsnahe C/iromiy/e des regnes zum Jahr 1354 über die Truppen
Karls von Navarra berichtete, diese würden Burgen besetzen und „plündern
wie Feinde"^, wird den Navarresen indirekt der Status der legitim Kriegfüh-
renden abgesprochen. Ihr Verhalten - das im Kriegsfall durchaus normal war
- erscheint damit als Anmaßung und Rechtsverletzung. Entsprechende Dif-
famierungen konnten demnach nur auf Gruppen angewandt werden, denen
man innerhalb Frankreichs mit einiger Plausibilität den Status als ,Feind'
verweigern konnte, um damit die von ihnen ausgeübte Gewalt als illegitim
darzustellen.255

253 L/nde eedes, rap/ne e/ Zncend/a, e/ /mens^ne spo/Zac/ones ecc/es/amm, u/o/ae/ones u/rg/nnn!, e/ (pdctpdd
ra/n'es Sarracen/ca exeogi/are po/nisse/,/Meran/ SM/ise^MM/a. Chronique du Religieux, Bd. 6, S. 322.
254 Ef /es gens dndZ/ roi/ de Nauarre (...) /eno/en/ e/ gardo/en/ wonZ/ di/iganmen/ /es diz c/?as/eaMX e/
pZZZoZen/ /e pai's enuiron fowiwie ennem/s. Chronique des regnes, Bd. 1, S. 51 (ad a. 1354).
255 Dies traf z.B. auf bretonische Krieger zu: Ma/a ^nas/ ZnenarraZn'ZZa perpe/ra/ian/, /iee/ essen/ de regno
nos/ro orinndi nee se /eueren/ pro nos/r/s ue/ regn/ nos/r/ /n/w/e/s. Timbal, Guerre, S. 486 (ad a.
1368). Ebenso auf plündernde Söldnerheere: New ^Man/MW ad praedas a//ine/ ae rap/nas, non a/Z/er
tpMMi in /erra dos/Z/Z. Nicolas de Clamanges, Opera omnia, Bd. 2, S. 160 (Nr. 59); ähnlich: Juvenal
des Ursins, Histoire, S. 340 (ad a. 1380); Chronique du Religieux, Bd. 5, S. 546 (ad a. 1415); Jour-
nal de Jehan Denis, S. 287 (ad a. 1438). Auf die Parteien des französischen Bürgerkriegs
gemünzt: Faire /on/es andres ZnZ^nwanZ/ez (?ne ennemiz de Nons & de nos/redi/ Roi/anwe peuen/ &
ponrro/en/ /aire. Ordonnances, Bd. 9, S. 636 (Karl VI., 1411); ähnlich: Monstrelet, Chronique,
Bd. 2, S. 193 (ad a. 1411); ebd., Bd. 3, S. 150 (ad a. 1416); Chronique du Religieux, Bd. 5, S. 536
(ad a. 1415).
 
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