Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0042
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
II. 1 Zum Begriff Reform

41

Die allgemeine mittelalterliche Idee der Reform sei nach Gerd Tellenbach
stets auf eine Erneuerung des Menschen nach dem Vorbild Jesu Christi ausge-
richtet gewesen.128 Damit habe sie auf eine Änderung derjenigen Verhältnisse
gezielt, welche von den geltenden Vorschriften abgewichen waren, und habe
sich infolgedessen auf fast alle Lebensbereiche erstreckt.129 In diesem Sinne
wollte die „religiöse Erneuerung als Reform damals keine grundsätzlich revo-
lutionäre Veränderung oder Überwindung des sozialen Ordo", vielmehr strebte
sie „eine an traditionale Normen gebundene Reinigung und Besserung des Be-
stehenden an."130 Dies führte in der Forschung zu einer generellen Charakteri-
sierung der frühmittelalterlichen Auffassung als einer „back-ward-looking re-
form" gegenüber einer „forward-looking reform" ab dem 12. Jahrhundert.131
Allerdings werden solche holistischen Interpretationen der Vielfalt des Phäno-
mens nicht gerecht, blenden sie doch eine auch schon vor dem 12. Jahrhundert
stattfindende Entwicklung neuer Konzepte aus.132
Bereits im Frühmittelalter finden sich nämlich derartige Neuerungsbestre-
bungen: Beispielsweise schuf Erzbischof Chrodegang eine Regel für seinen
Metzer Kathedralklerus, die unter Kaiser Ludwig dem Frommen (778-840) zu
einer reichsweit gültigen Institutio canonicorum ausgestaltet wurde.133 Im ersten
Drittel des 10. Jahrhunderts entwickelten sich im burgundischen Kloster Cluny
neue Vorstellungen über die Ausgestaltung monastischen Lebens, die im Zu-
sammenspiel mit der Ablehnung einer besitzrechtlichen Einflussnahme von
geistlichen oder weltlichen Eigenkirchenherren im Verlauf des 11. Jahrhunderts
eine der ersten klösterlichen Verbandsbildungen bewirkte.134 Nahezu gleich-
zeitig blühten im lothringischen Raum mit Brogne, St-Evre in Toul und St. Ma-
ximin in Trier ebenfalls strahlungskräftige monastische Lebensformen auf.135
Zum einflussreichsten unter ihnen wurde das Kloster Gorze, dessen Ideen bis in
den Elberaum ausstrahlten.136
Diese Beispiele verdeutlichen, dass der Reform-Begriff vielfach ein Trans-
portvehikel für verschiedenste Inhalte darstellte, die auf unterschiedlichen Zie-
len basierten und diverse Folgen zeitigten, dabei indes stets einen stark religiösen

128 Vgl. Tellenbach, Kirche 1988, S. F135.
129 Wolgast, Reform 1984, S. 317.
130 Laqua, Traditionen 1976, S. 25.
131 Geprägt von Constable, Reformatio 1964, S. 332. Vgl. auch K. A. Frech, Reform 1992, S. 92-95.
132 Fink, Papsttum 1981, S. 26 zog auch mit Blick auf spätere Entwicklungen für das 11. Jahrhundert
die Verwendung von Veränderung statt Reform vor, denn beispielsweise in Bezug auf die
Kirchenverfassung sei eben keine Rückkehr zu früheren synodalen Formen anzuzeigen. Vgl.
auch M. Werner, Wege 1989, S. 267-269.
133 Zu Chrodegangs Regel vgl. Claussen, Reform 2004; zu Ludwig einführend Breukelaar, Ludwig
1.1993 mit weiterer Literatur; Boshof, Ludwig 1996; Godman - Collins, Heir 1990. - Generell zu
Reformen unter den Karolingern im lothringischen Raum vgl. Gaillard, Reforme 2006. S. auch
unten S. 124.
134 Vgl. einführend Constable - Melville - Oberste, Chmiazenser 1998 sowie die weitere Literatur in
Abschnitt II.3.2. Zur Diskussion um eine eventuelle Ordensbildung vgl. Poeck, Abbild 1998.
135 Vgl. einführend Parisse, Reform 1991. S. auch unten S. 117-121.
136 Vgl. Parisse, Abbaye 1993.
 
Annotationen