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Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0043
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42

II Charakteristika der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts

Bezug aufwiesen.137 Demzufolge ist die Bestimmung des objektiven Grades von
Reformbedürftigkeit oftmals schwierig, verbanden sich doch in vielen Fällen an
religiösen und jurisdiktionellen Sachfragen oder einzelnen Lebensbereichen
orientierte Emeuerungsbestrebungen und materielle sowie politische Interessen
der Beteiligten zu einer häufig nur schwer durchdringbaren Gemengelage.138 Im
Bereich des Mönchtums verkompliziert die rhetorische Art und Weise, in der
frühere Gewohnheiten vorwurfsvoll gegenüber den neuen Lebensweisen in
Cluny, Fruttuaria oder Gorze abgewertet wurden, den Einblick zusätzlich.139
Ähnliches gilt für das Papsttum vor und nach der Synode von Sutri Ende 1046.140
Aus der im 11. Jahrhundert häufiger anzutreffenden Kritik beispielsweise an
Simonie und Nikolaitismus schloss Tellenbach aber nicht zwangsläufig auf eine
Zunahme dieser Praktiken, sondern votierte für einen Mentalitätswandel, wel-
cher alte Gewohnheiten in Frage stellte.141
Der Frage, wie diese komplexen Vorgänge überhaupt erfasst werden kön-
nen, hat sich Melville für den Bereich des Mönchtums gewidmet. Er plädierte
dafür, „zwischen einer dauerhaften Institutionalisierung von repetitiven Kor-
rekturen einerseits und einer Aktion grundlegender Änderungen andererseits"
zu differenzieren und entsprechend eine einfache und heuristisch brauchbare
Definition von Reform einzuführen.142 Sein Vorschlag lautete, Letztere als „eine
sich über einen gewissen Zeitraum erstreckende, planvolle Veränderung von
aktuellen Zuständen mit der Absicht, diese zu verbessern" aufzufassen und
diese Definition als Ausgangspunkt für eine Typologisierung einschlägiger
Phänomene anzusetzen.143 Sein nächster Schritt bestand in der Frage nach den
zugrundeliegenden Intentionen, die er mit Korrektur, Anpassung an neue Ver-
hältnisse oder Vorbeugung beantwortete.144 Anschließend interessierten ihn die
Art und Weise des Vorgehens sowie die Inhalte und ergriffenen Maßnahmen.145
Dabei unterschied er zwischen eigeninitiierter Reform und einer vom Herr-
schaftsträger oktroyierten Reform, wie sie für die Spätantike und das Frühmit-
telalter charakteristisch sei.146
Über das Klosterwesen hinaus muss in diesem Zusammenhang Kieckhefer
zufolge generell zwischen individualistischen und institutionellen Reformge-

137 Vgl. Führer, König 2008, S. 301; Miethke, Reform 1995, S. 544-546.
138 Vgl. hierzu auch H.-J. Schmidt, Einleitung 2008, S. 12.
139 Vgl. Tellenbach, Reformmönchtum 1975, S. 372.
140 Vgl. Benzinger, Invectiva 1968, S. 55 sowie Meier-Weicker, Simonie 1952/53, S. 85 zur Vorbild-
funktion Roms für die übrige abendländische Christenheit, die auch Petrus Damiani 1045/1046
betonte: Rom möge als normierendes Zentrum eine Reform in die Wege leiten (Petrus Damiani,
Briefe 1, Nr. 13, S. 144, Z. lf.).
141 Tellenbach, Kirche 1988, S. F136-138. Zur Diskussion um die „mutation de l'an mil" vgl. Goetz,
Neuformierungen 2004.
142 Melville, Aspekte 2007, S. 151.
143 Ebd.
144 Ebd., S. 154f.
145 Ebd., S. 155f.
146 Ebd., S. 158.
 
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