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Lorke, Ariane; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Contr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0044
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II. 1 Zum Begriff Reform

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danken unterschieden werden:147 Gerade im 11. Jahrhundert habe es sich im
Bereich des Klerus hauptsächlich um eine personal-gemeinschaftliche Reform
der Geistlichkeit selbst gehandelt, kirchliche Strukturen seien erst in zweiter
Linie betroffen gewesen.148 Diese Erkenntnis basiert auf der Tatsache, dass die im
folgenden Abschnitt II.2 beschriebenen Reformthemen zunächst in kleinen
Gruppen diskutiert und gegebenenfalls umgesetzt wurden. Diese initiierenden
Klein- und Kleinstgruppen - Hostie sprach bereits für die Karolingerzeit von „un
piccolo gruppo di militanti di base"149 - können auch als Teilgruppen von In-
stitutionen verstanden werden (wie Kanoniker, Bischöfe und frühe Klosterre-
former) und werden in Abschnitt III.2.2.3 als Aktionsgruppen näher unter-
sucht.150
Stand demnach vorrangig der Mensch und sein Verhalten im Zentrum des
Reforminteresses, so wird seine Kommunikation als überlieferter Ausdruck
seines Verhaltens zu einem Indikator: Sowohl für die Notwendigkeit von Re-
formen als auch für die Formulierung und Umsetzung der Reformanliegen.151
Die Frage nach der praktischen Kommunikation verspricht also lohnende Ein-
blicke in die Entwicklung der Kirchenreform.
Die hier interessierenden Vorgänge des 11. Jahrhunderts reihen sich in eine
„lange Kette von Reformen" innerhalb der Geschichte des westlichen Chris-
tentums ein, welche Ladner grundlegend beschrieb.152 Dennoch stellen sie kein
simples Kettenglied dar, um in Ladners Bild zu bleiben, sondern sind in sich zu
differenzieren. Um dem Rechnung zu tragen, unternahm die Forschung zeitliche
und strukturelle Differenzierungsversuche: Seit Hallinger begegnen die Begriffe
Frühreformer und Gregorianer: Für Hallinger, der sich auf das Mönchtum

147 Vgl. Kieckhefer, Idea 1989, S. 2841. - Baumgartner, Institutionen 1992, S. 108 führte fünf Cha-
rakteristika einer (mittelalterlichen) Institution auf: Leitidee und dazugehöriges System von
Werten (1), Norm- und Regelsystem (2), Organisation der sozialen Handlungen (3) und
schließlich organisierte Vereinigung oder Verband (4) sowie Akzeptanz der Mitglieder (5).
148 Laqua, Traditionen 1976, S. 20, Anm. 22; vgl. Ladner, Idea 1967, S. 277, Anm. 147. - Anders
formuliert fand zunächst ein individuelles Reformmodell Anwendung, dem sich erst im Verlauf
des 11. Jahrhunderts institutionelle Reformgedanken zugesellten (K. A. Frech, Reform 1992, S.
91L; Ladner, Idea 1967, S. 277, Anm. 1547).
149 Hostie, Riforme 1983, Sp. 1760. Vgl. dazu auch die Einschätzung von Leclercq - Weinfurter,
Riforme 1983, Sp. 1753.
150 S. unten Abschnitt II.3. Die ältere Forschung ging noch von einer Reform „par en haut" (Le-
marignier) durch das Papsttum aus. Vgl. Ott - Jones, Introduction 2007, S. 12 mit Anm. 40.
151 Diese Verknüpfung von Kommunikation und Reform ist Teil der aktuellen althistorischen und
mittelalterlichen Forschung, s. oben Anm. 48. - Für das Spätmittelalter besprach beispielsweise
D. Mertens, Klosterreform 2001 die „Kirchenreform als Kommunikationsereignis" mit Exkursen
zum 11. Jahrhundert. Er betrachtete die gesellschaftliche Verständigung über Reform sowie die
konkrete Umsetzung im Kloster und wies auf die dabei entstehenden Probleme der Kommu-
nikation hin.
152 Das Zitat bei Ladner, Erneuerung 1964, Sp. 268. - Noch immer grundlegend ist ders., Idea 1967,
erschienen erstmals 1959. Vgl. auch ders., Reform-Idee 1952, besonders S. 35-37. - Speziell für
das 10. und 11. Jahrhundert konstatierte Tellenbach, Kirche 1988, S. F135 eine Ambivalenz „vers
la decadence et un mouvement de reforme (J. Leclercq), von reforme permanente oder reforme
de la reforme (P. Toubert), von Christian history as an unbroken process of reformation (Dic-
kinson)", welche auf eine anhaltende Intensität von Reform wünschen verweise.
 
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