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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0050
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II.2 Themen und Hintergründe

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nisch-salischen Zentralmacht, die in der Person Heinrichs III. eigenständige
Friedensmaßnahmen ergriff, bestand dagegen im ostfränkischen Reich bis weit
in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts kaum Bedarf an ähnlichen Regelun-
gen.178 Allerdings kam es im Grenzgebiet bereits 1023 zur Aufforderung an Bi-
schof Gerhard I. von Cambrai, sich als Suffragan des Reimser Erzstuhls den
nordfranzösischen Friedensbünden anzuschließen.179 Erst im späten 11. Jahr-
hundert wurden die Gottesfrieden von anderen Formen der Friedenswahrung
wie den Reichsfrieden und Landfrieden abgelöst.180 In England, den skandina-
vischen und osteuropäischen Reichen bedurfte es ihrer hingegen gar nicht.181
Ein neuartiges Element bildete die Beteiligung breitester Bevölkerungs-
schichten182: nicht allein aufgrund des Schutzes ihrer Person und ihrer Güter,
sondern auch anlässlich der gleichzeitigen Wallfahrten im Rahmen des verstärkt
einsetzenden Reliquienkultes um die Jahrtausendwende,183 der (teilweise er-
zwungenen) eidlichen Verpflichtungen auf die Friedensstatuten sowie der be-
sonderen Friedensgerichtsbarkeit.184 Soziopolitisch verkörperten die Gottesfrie-

178 Zur Friedens Währung unter Heinrich II. und Konrad II. vgl. Kaiser, Selbsthilfe 1983, S. 66f. -
Indizien für ein vielleicht aber auch nur vorrübergehendes Eindringen der Institution in die
linksrheinischen Gebiete stellte H. Hoffmann, Gottesfriede 1964, S. 88f. zusammen.
179 Vgl. die Gesta epp. Cameracensium III 27, S. 474 u. III 52-54, S. 486f. und dazu H. Hoffmann,
Gottesfriede 1964, S. 57-64. Gerhard habe sich zunächst gegen die Einführung der Gottesfrieden
in seiner Diözese gesperrt, da die Strafverfolgung seiner Ansicht nach den Fürsten oblegen hätte.
Unbewiesen bleibt die Behauptung von MacKinney, People 1930, S. 193, Gerhard habe sich 1030
der motivierten Volksmasse nicht länger entziehen können und solle sich - eventuell auf Ein-
wirken Graf Balduins IV. hin - der Synode von Oudenaarde 1030 angeschlossen und einen
Gottesfrieden befürwortet haben. Die diesbezüglichen Quellen (Auctarium Affligense, S. 399, Z.
34-38, Gesta epp. Cameracensium III 54, S. 487 sowie Ann. Elmarenses, S. 89f.) erwähnen Ger-
hard aber nicht. Vor Kurzem legte Riehes, Peace 2010 eine klare und überzeugende Neuinter-
pretation vor: Die Gesta hätten versucht, die Schwäche ihres Bischofs im Rahmen der Nachfolge
Heinrichs II. zu verdecken und im Gegenzug den Bischöfen Berold von Soissons und Warin von
Beauvais eine Überschreitung ihrer Autorität gegenüber dem französischen König in Form der
Verkündigung eines Gottesfriedens vorgeworfen. Dies wäre laut den Gesta allein aufgrund der
königlichen Schwäche möglich gewesen. Riehes hingegen sah in der Beteiligung Roberts des
Frommen „a Symptom of French royal assertiveness in the period 1023-5".
180 Vgl. Goetz, Gottesfrieden 2002, S. 51-54.
181 Vgl. Kaiser, Gottesfrieden 1989, Sp. 1988f. sowie zu England Cowdrey, Peace 1970, S. 66f.
182 Vgl. MacKinney, People 1930, S. 190f.
183 Vgl. die Beispiele bei Töpfer, Volk 1957, S. 38-46 mit der wohl richtigen Interpretation, dass die
Pilgerbewegung, wie Klosterreform oder Ketzerei, „verschiedenartige Auswirkungen einer
gleichen Grundtendenz" gewesen seien. Töpfer führte dies allerdings ideologisch auf eine
Verschärfung der Klassengegensätze zurück (S. 47). - Allgemein zum Reliquienkult im Mittel-
alter vgl. Angenendt, Heilige 2007, insbesondere S. 201f. zur Gottesfriedensbewegung; Mayr,
Geld 2000; speziell zu Frankreich J. Ehlers, Politik 1994. Die „herausgehobene Bedeutung der
frühmittelalterlichen Reliquientranslation als herrschaftssichemde kommunikative Praxis"
(Depkat, Mediengeschichte 2003, S. 39) behandelte Röckelein, Kommunikationsformen 2003
und dies., Reliquientranslationen 2002.
184 Vgl. Goetz, Kirchenschutz 1983, S. 206-208 sowie ders., Neuformierungen 2004, S. 44. - Auf-
grund der ideologischen Ansichten vorsichtig zu benutzen ist Töpfer, Volk 1957, beispielsweise
S. 30: „wichtigste Aufgabe [der Kirche] war es vielmehr, die Massen ideologisch im Sinne der
herrschenden Klasse zu beeinflussen und zu beherrschen." Weitere Literatur zur Beteiligung
 
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