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Mersch, Katharina Ulrike; Georg-August-Universität Göttingen [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Missachtung, Anerkennung und Kreativität: exkommunizierte Laien im 13. Jahrhundert — Mittelalter-Forschungen, Band 65: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.62574#0069

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68

II. Mittelalterliche und moderne Deutungen von Sozialem

3. Die Quellen und ihre Auswertung
Die theoretische Erörterung des Themas hat gezeigt, dass die Beschaffenheit des
Rechtssystems, in dem die Exkommunikation aufgehoben war, ergründet wer-
den muss. Bei der Lektüre der Quellen des Kirchenrechts ist es also zum einen
vonnöten, den Status der Laien im Hinblick auf die Exkommunikation zu prüfen,
ihre Beziehung zum Klerus sowie die Frage, ob von einer prinzipiellen Gleichheit
der Subjekte in dem System ausgegangen werden kann. Zum anderen sind die
rechtlichen Möglichkeiten der Laien, sich gegen eine Exkommunikation zur
Wehr zu setzen, zu ermessen, da dies ihre Handlungsspielräume sowie auch die
von ihnen präsentierte Identität bestimmen konnte. Hierfür sind die für den
Untersuchungszeitraum einschlägigsten Quellen des kanonischen Rechts, das
Decretum Gratiani, der Liber Extra und der Liber Sextus, sowie deren Rezeption in
Kanonistik und Theologie mit Fokus auf diese Fragen auszuwerten. Dies wird in
Abschnitt III geschehen.
Während die Quellenauswahl im Hinblick auf das Kirchenrecht an ver-
schiedene Forschungsarbeiten anschließen kann, musste das Quellenmaterial
für die Fallstudien zur Exkommunikationspraxis erst gesammelt und gesichtet
werden. Aus den bisherigen Überlegungen ergeben sich zudem besondere An-
sprüche an diese Quellen. Der Überblick über die sozialen Deutungsschemata
des Mittelalters legt verschiedene praktische analytische Perspektivierungen
nahe: Es muss beachtet werden, inwiefern die sozialen Kategorisierungen in den
realen Konflikten Niederschlag fanden und mit der Exkommunikation in Ver-
bindung gesetzt wurden. Mehr noch müssen Quellen auch dahingehend geprüft
werden, ob sich Zugehörigkeiten zu bestimmten Gruppen jenseits der großen
sozialen Kategorien finden lassen. Dies bedeutet dann allerdings auch, dass nicht
nur Quellen, die direkt mit der Exkommunikation des einzelnen Laien zu tun
haben, zu Rate gezogen werden müssen, sondern möglichst viele, die über die
soziale Einbindung des Laien Auskunft geben. Die Ausführung zu den Miss-
achtungserfahrungen und den potentiellen Bestrebungen der exkommunizier-
ten Laien um Anerkennung lenken den Blick insbesondere auf Quellen, die von
einer direkten Reaktion der Laien auf die Exkommunikation zeugen. Für die
Anerkennungsform des Rechts wäre hier in erster Linie an Dokumente, die über
das Verfahren und das Verhalten der Laien in diesen Verfahren informieren, zu
denken. Für die soziale Anerkennung, die Handlungsspielräume und Solidari-
tätsbeziehungen sind auch Quellen hinzuzuziehen, die darüber Aufschluss
geben können, ob ein exkommunizierter Laie sein soziales Umfeld in der An-
gelegenheit ansprach und ob sich ausgehend von seiner Erfahrung soziale Pro-
zesse der Solidarisierung in Gang setzten. Das Kapitel über die Interessen und
Intentionen der Laien hat gezeigt, dass die Situation ihr Handeln stark mitbe-
stimmt haben wird und dass sich ihre Interessen in der Auseinandersetzung mit
dieser Situation verschieben und neu geformt werden konnten. Auch dies führt
zu dem Anspruch, die einzelnen Exkommunikationsfälle auf einer möglichst
breiten Quellenbasis zu analysieren, die eine größtmögliche Kontextualisierung
des Geschehens erlauben sollte. Damit die ,,langsame[] Akkumulation von
 
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