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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1.1872-1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.5262#0018
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Ausforderung zu Malerradirungen.

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fältigungsmittel sein. Sie kommt dem ausgesprochen
malerischen Zuge der Zeit am gefälligslen entgegen
und ist auch wegen der Schnelligkeit und verhält-
nissmässigen Billigkeit ihrer Herslellung den meiden
anderen Reproduktionsweisen vorzuziehen.
Allerdings liegt in dieser Leichtigkeit der Ma-
nipulation auch eine Gefahr für den Radirer ge-
borgen: die Versuchung, sich gehen zu lassen, der
eigenen Individualität sorglos zu vertrauen und den
Blick, datt auf das zu reproducirende Original, nur
auf die Technik der Reproduktion selbd zu richten.
Da wird aus dem geidvollen Uebersetzer gar zu
leicht ein virtuoser Manierid, unter dessen Radir-
nadel jeder Unterschied zwischen alt und neu, ita-
lienisch und niederländisch, früherer oder späterer
Malweise eines Kündlers verschwindet, und bei dem
Alles nur auf den blendenden Efsekt der bravour-
mässig gehandhabten Technik eingerichtet id.
Wir glauben dieser Gefahr am beden dadurch
entgegen wirken zu können, indem wir zur Pssege
der Maler-Radirung, dieser von den alten Meidern
an's Herz geschlossenen, heute leider ungebührlich
vernachlässigten Kund, die uns in die geheimniss-
vollen Tiefen des Genius hineinblicken lässt und
jeder ssüchtigen Regung der Empfindungsthätigkeit
Gedalt und Dauer zu geben vermag, — indem wir
zu ihrer erneuten Pssege einen Impuls geben.
Allerdings id das Princip der Arbeitstheilung,
die riesige Consumtionskrast der Zeit und die Ueber-
bürdung mit Aufträgen, kurz die ganze Situation,
in der sich unsere Maler heute befinden, dieser be-
scheidenen, die Mühe nicht immer glänzend lohnen-
den Kund keineswegs gündig. Die Unbehilslich-
keit des erden Versuches pssegt von weiterem Fort-
schreiten abzuschrecken; man lernt nicht gern in vor-
gerückten Jahren noch ein neues Indrument.
Aber dabei wolle man nicht vergessen, welch
ein unermesslicher Vorzug andererseits in der origi-
nalen Natur der Maler-Radirung liegt! Es mag
ein noch so ungeschickter Ausdruck sein, immer id
es doch ein unmittelbarer und unverfälschter Aus-
druck der eigenen kündlerischen Empfindung, was
uns der Maler in dem Strich seiner Nadel vor die
Seele führt. Die Radirung id in dieser Hinsicht der
Handzeichnung am nächden verwandt. Und diese
Aeusserung der kündlerischen Individualität kann für
uns gerade deshalb von besonderem Zauber sein, wenn
sie uns nicht in des Meiders gewohnter Technik, son-
dern gleichsam in einer neuen Sprache entgegentritt,
die doch nur der Naturlaut des Herzens id. Wer

möchte die Radirungen Rembrandt's, van Dyck's,
RuijsdaeFs neben den vollendeten Schöpfungen ihrer
Malerei entbehren? Und geht uns nicht etwas ab,
wie der Einblick in ihre kündlerischen Tagebücher,
weil von den meiden heutigen Malern diese der Platte
anvertrauten Selbdbekenntnisse fehlen ?
Im Auslande id denn auch in neueder Zeit zur
Pssege der Maler-Radirung Manches geschehen. So-
wohl in England, als in Belgien, hauptsächlich aber
in Frankreich bedehen Gesellschaften für Maler-
Radirer, welche trotz der Ungund der Zeit in rühm-
lichder Weise thätig sind. Der bekannten Pariser
»Societe- des Aqua -Fortides«, deren fünf dattliche
Foliobände uns die reizendden Arbeiten der mo-
dernen französischen Malerschule bieten, id das
ähnliche Unternehmen der »Illudration nouvelle«
gefolgt, welches besonders im Fache der Landschaft
und der architektonischen Vedute ganz Vorzügliches
leidet. Die mannichfachen, in deutschen Kund-
dädten gemachten Versuche verwandter Art scheinen
bisher sämmtlich an dem Mangel der Centralisation
gescheitert zu sein. Trotz einer grossen Zahl vor-
trefslicher Blätter, welche von dem Wirken dieser
deutschen Radirvereine Zeugniss geben, id kaum
eines derselben über eine kurze Lebensdauer und
rein lokale Wirksamkeit hinausgekommen.
Diesem Mangel eines feden Mittelpunktes will
nun unsere Gesellschaft abzuhelfen suchen, und wir
fordern hiermit alle deutschen Kündler auf, uns
dabei freundlich zur Seite zu dehen. Das Album
der Gesellschaft hat schon in den erden Heften
mehrere Originalradirungen von der Hand ausge-
zeichneter Wiener Meider gebracht; andere sind uns
für die nächde Zeit angekündigt. Wir hegen die
Ueberzeugung, dass noch manches kodbare Blatt,
zu dessen Publikation die Gelegenheit fehlte, im
Verborgenen schlummert und manche im Radiren
bereits geübte Kraft die Nadel nur verdauben liess,
weil kein Anlass vorlag, sie wieder zur Hand zu
nehmen. Möge dem brachliegenden Felde durch
den von uns gegebenen Impuls neues Leben ent-
spriessen! Wir sind bereit, allen Anerbietungen und
Einsendungen, die man an unsere Adresse richten
wird, soweit sie den kündlerischen Aufgaben der
Gesellschaft entsprechen, Berücksichtigung und Auf-
nahme angedeihen zu laden, und befinden uns in
der Lage, den Kündlern ausser einem entsprechen-
den Honorar die weitede Verbreitung ihrer Arbeiten
zusichern zu können.
C. v. L.


 
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