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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.4069#0034
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Falle Aufsergewöhnliches gelungen wäre. Er hat indefs
das neue Arbeitsfeld nicht unvorbereitet betreten. Ein
Kunftempfinden, das lieh am Parifer-Lcben ausgebildet,
ein Formen- und Farbenfinn, der die moderne englifch-
franzöfifche Illuftrationskunft in fich aufgenommen, eine
Denkweife, die lieh an der neueften Literatur entwickelt
hat, waren die Vorausfetzungen feines Schaffens. Hundert-
zweiunddreifsig Illuftrationen! Die Zahl allein bedeutet
eine ungewöhnliche Leiftung, energifche Arbeitskraft
feltene Concentrationsfähigkeit. Es galt nicht allein die
Zeichnung zu erfinden, fie mittels einer durchaus origi-
nellen Ornamentik mit dem Texte zu verbinden und jeder
neuen Wendung der Erzählung bildlich darfteilbare Seiten
abzugewinnen, fondern, was das Schwierigfte war, jedem
Blatte einen neuen, ftimmungsvollen Farbenaccord zu
verleihen. — Und welche Fülle feinfter coloriftifcher
Effecte weifs er zu entfalten! Wem es noch nie fo recht
zum Bewufstfein gekommen ift, wie ähnlich Mufik und
Farbe auf unfer Gemüth wirken, hier mufs er es empfinden.
Die Wirkungen find fo zugefpitzt, als wären fie direct für
das pfychologifche Experiment präparirt. Aber weitgefehlt
wäre es, infolgedeffen zu argwöhnen, dem Künftler
hafte irgendwelches fchulmeifterliche Bleigewicht an den
Füfsen. Der Componift meiftert fein Farbeninftrument
völlig frei, leicht und ungebunden. Es dient ihm dazu, in
den epifchen Gang der Erzählung jenes lyrifche Moment
einzuflechten, das Wärme und Leben verleiht, dem
phantaftifchen Märchen den Charakter einer melo-
dramatifchen Dichtung aufzuprägen, Stimmungsbilder zu
entfalten, denen wir in freudiger Erwartung von Blatt zu
Blatt entgegeneilen.

Mucha eultivirt jene befondere Art, die Farben in der
Natur zu fehen und wiederzugeben, die faft keine Über-
gänge kennt, fie ruhig neben einander fetzt und es dem
flimmernden Spiel des Sehnervs überläfst, fie fozufagen
organifch in einander überzuleiten, eine Manier, die
namentlich Grasset fein ausgebildet hat und die Mucha
in feiner Weife weiterpflegt. Naturerfcheinungen find es,
die ihm ihre Motive leihen, das Alpenglühen in den
Bergen, der Lichtreflex in den Wolken, die Silberfäden,
die der Mondfchein über Flur und Waffer fpinnt. Lichte
Frühlingstöne einer blumigen Wiefe erzählen das Liebes-
abenteuer des Burgherrn von Blay mit jener Hirtin, die
fpäter Jaufres Mutter wird. Violette Tinten, in denen nur
einige gelbe Töne wie Hoffnungsfirahlen auftauchen,
begleiten die fchwermüthigen Stellen des Textes, wie z. B.
jene fommerliche Abenddämmerung, wo Eymardine,
Jaufres Schwerter, den Bruder fragt, was Liebe fei.
Smaragdne Lichter des jungen Frühlings ergiefsen fich
über Darftellungen fröhlichen Inhalts. Bunter und wärmer
werdendie Farben, fobald der Orient beginnt. Überrafchend
fchön ift das Bild, wo in rofigem Abendfchein das Schiff
verfchwindet, das den Prinzen nach dem Orient entführt,
während fich bereits die Schleier der Nacht auf das
Waffer herniederfenken, und mit entzückender Virtuofität
ift gleich darauf der frühe Morgen auf hoher See gefchil-

dert, wo froftige blaue Schatten der fliehenden Nacht um
die Herrfchaft ftreiten mit blinkenden Goldreflexen der
aufgehenden Sonne. In Purpur und Gold getaucht erfcheint
endlich das kurze Liebesglück des Prinzen. Ein Feuerwerk
glühenden, blühenden Lebens, ein Fortiffimo weithin
fchallender Fanfaren.

Ein ungemein fenfitiver weiblicher Zug geht durch
diefe ganze Kunftweife. Der berühmte Farbenfinn der
Pariferin fpielt dabei keine geringe Rolle. Wir können uns
diefe Illuftrationen unmöglich an einem anderen Ort
entftanden denken, als in der Capitale des Gefchmacks,
wo ein phantafiebegabter Maler auf Schritt und Tritt
neue Anregungen empfängt. Derfelbe in entzückender
Mannigfaltigkeit auftretende coloriftifche Feinfinn, der die
bezaubernden Toiletten fchöner Pariferinnen dichtet, hat
auch diefe Illuftrationen infpirirt. Trotz aller Fülle und
alles Reichthums bleibt der Künftler ftets in den befchei-
denen Grenzen der IUuftration, Wirklichkeits-Nachahmung
ift niemals fein Beftreben, nie vergifst er, die Vorgänge
ganz und gar jenfeits des Möglichen darzuftellen. Dadurch
gewinnt das Buch in fo hohem Grade den Charakter des
Märchenhaften. So grofses Gewicht legt der Künftler auf
die Wirkung der Töne und Farben, dafs er die Zeichnung
darüber manchmal geradezu vernachläfsigt. Im Ausdruck
der Gefichter finden wir nicht immer jene fprechende
Charakteriftik, die wir anzutreffen berechtigt wären. Wir
vermiffen z. B. gerade in. den Zügen der Prinzeffin jene
bezaubernde Lieblichkeit, ohne die wir uns ein folches
Wefen wohl kaum denken können. Dafür ftofsen wir
nicht feiten in Ausdruck und Geberde auf jene froftige
franzöfifche Sentimentalität, die infolge mangelnder Tiefe
leicht zur Caricatur wird. Am* wenigften gelingt dem
Künftler der Ausdruck der Würde, des hoheitsvollen
Pathos, das in den zahlreichen übernatürlichen Erfchei-
nungen zu Tage treten follte.

Das Ornament ist, wie bereits angedeutet, originell
und glücklich erfunden. Das verbindende fchmale Bänder-
und Schnörkelwerk fteht unter dem Einfluffe der Miniatur-
malerei der romanifchen Zeit. Die Symbolik ergeht fich
in dem bekannten Gänfemarfch oder Multiplicationsfystem
der Modernen und ist bis auf einen Fall, — von Vergifs-
meinnichtkränzen umgebene Augen, — nicht ohne Ge-
fchmack.

Das kühne Wagnifs, Typendruck und Lithographie
künftlerifch zu verbinden, ift beffer gelungen, als man
erwarten möchte. Das Ganze ift ein Illuftrationswerk
fo neu, fenfationell und durch und durch modern, als
eine nach Modernem fo lüfterne Zeit, wie die unfere,
fich nur wünfehen kann. Es hat nichts von der hoch-
poetifchen Innerlichkeit eines Walter Crane, nichts von
dem Ernlt und der Tiefe eines Burne-Jones, nichts von
der Itrengen Wahrheitsliebe eines Menzel oder dem
nervenaufregenden Decadententhum eines Beardsley, aber
es ift voll prickelnden Reizes, einer glanzvoll infeenirten
Oper vergleichbar, die den Befehauer auf eine Weile in
liebliche Träume versenkt. Folnefics.
 
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