Form eines 0 oder einer Null zu sehen ist, das nach seiner Ansicht die
ursprüngliche Ziffer L, die der Fälscher weggekratzt habe, ersetzte. Doch
hat einige Jahre später Friedrich Lippmann, obwohl er noch nicht an
die Entstehung des Blattes im Jahre 1418 glaubte, ohne Umschweife
konstatiert, daß die genaueste Untersuchung keine Spur von einer Ver-
fälschung des Datums erkennen lasse. Nun zeigt die neugefundene
Sankt Gallner Kopie, bei der die Inschrift fehlt, vollkommen klar, was
jenes 0 zu bedeuten hat: es ist der Kopf eines Nagels, womit der
Schrägbalken an dem Horizontalbalken befestigt ist. Dieser Nagelkopf
sitzt bei der Kopie genau an derselben Stelle, wie bei dem Originale, wo
er die Inschrift unterbricht. Ein ähnlicher Fall einer solchen Unter-
brechung eines Datums findet sich, wie mir scheint, auf einem der be-
rühmtesten Gemälde der Welt, auf Raffaels Madonna im Grünen:
hier sieht man auf dem Halssaume des Kleides Mariae neben
unerklärten Buchstaben deutlich die Jahreszahl MDVI, in der die
Ziffern V und I durch ein knopfartiges Ornament getrennt sind.
Ebensowenig wie bei dem Datum 1418 auf unserem Holzschnitte kann
man sich hier unter dem Knopfe eine Ziffer verborgen denken, ein Einfall,
der überdies sicherlich für naive Zeiten ganz und gar nicht passen würde.
Daß also das Datum 1418 wirklich auf dem Holzschnitte der
Brüssler Bibliothek steht, das hat Hymans unwiderleglich bewiesen.
Er fragt nun vollkommen folgerichtig, ob wir ein Recht haben, die Weg-
lassung eines Buchstaben — sozusagen einen Druckfehler — anzu-
nehmen und dadurch das Blatt in spätere Zeit zu versetzen, wie dies
bisher von der Mehrzahl der Forscher geschehen ist, die in dieser Frage
das Wort ergriffen haben. Ich glaube, wir hätten zu dieser Annahme
nur dann ein Recht, wenn wir beweisen könnten, daß der Brüssler
Holzschnitt auf einer Kunststufe stünde, die im Jahre 1418 noch nicht
erreicht sein konnte. Dies ist aber bis heute noch keineswegs bewiesen.
Die Anfänge der Van Eyck hüllen sich noch für unsere Augen in
ein tiefes Dunkel, das sich aber dank den Forschungen der letzten Jahre
allmählich zu erhellen beginnt. Hubert van Eycks künstlerische Persön-
lichkeit, die uns so lange unklar geblieben ist, scheint uns endlich deut-
licher und faßbarer werden zu sollen. Jedenfalls ist Hubert van Eyck
um das Jahr 1418 auf der vollen Höhe seiner Kunst, und es ist anzu-
nehmen, daß neben ihm und seinem Bruder Jan auch andere geringere
Künstler und Handwerker, zu denen man den Zeichner unseres Holz-
schnittes zählen mag, tätig gewesen sind. Hymans macht außerdem
darauf aufmerksam, daß es in den Niederlanden und auch außerhalb
derselben in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bedeutende Künstler
gegeben hat, die sich, wie z. B. der Meister von Flemalle und Konrad
Witz, parallel mit Jan van Eyck entwickeln und bei denen man auch
parallele, aber nicht identische Vorstufen voraussetzen darf.
Die Frage, wo der Holzschnitt von 1418 entstanden ist, erklärt
Hymans nicht beantworten zu wollen. Sicherlich hat er recht, wenn er
sagt, daß der Ort der Entdeckung allein keineswegs mit Bestimmtheit
niederländischen oder gar Mechelner Ursprung anzunehmen erlaubt.
Auch die von ihm hervorgehobene Übereinstimmung der Kolorierung
des Brüssler Blattes und der der Sankt Gallner Kopie kann meiner
Meinung nach nicht als Beweis für die Entstehung der beiden Blätter
in derselben Gegend gelten; der Kopist hat ja wohl ohne Zweifel ein
koloriertes Exemplar des Originals vor Augen gehabt und die Farben
vielleicht noch getreuer kopiert, als die Zeichnung. Auch die Form des
aus zwei konzentrischen Kreisen gebildeten Heiligenscheines läßt sich,
wie ich glaube, weder für noch gegen die Annahme niederländischen
Ursprungs verwenden; in Deutschland ist diese Form freilich häufiger,
doch begegnet sie uns auch hie und da in den Niederlanden (so z. B.
auf dem etwas späteren Holzschnitte des Berliner Kupferstichkabinetts,
der Maria im Glorienkranz darstellt, abgebildet in den»Documents Icono-
graphiques et Typographiques de la Bibliotheque Royale de Belgique«,
und auf einem der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts angehörenden
Bilde der Antwerpener Galerie Nr. 680, beide Werke durch die Sprache
ihrer Inschriften als niederländisch gekennzeichnet).
Trotz dieser Schwierigkeiten wird es vielleicht doch einmal
möglich sein, den Ort der Entstehung unseres Holzschnittes näher zu
bestimmen. Dem Stile nach zu urteilen, möchte ich glauben, daß es nur
zwei Möglichkeiten gibt: entweder ist das Werk niederländisch oder
kölnisch. Aufeine Einwirkung der kölnischen Malerei deuten gar manche
Einzelheiten hin: Die runde, geschlossene Form der Krone Maria ist
auf kölnischen Bildern von Stephan Lochner an bis zum Meister der
heiligen Sippe häufig; die Schriftbänder sind in ähnlicher Art angebracht,
wie auf dem Gemälde der heiligen Sippe von einem Nachfolger Meister
Wilhelms im Kölner Museum; die Einfriedung findet man auf manchen
kölnischen Werken ähnlich verwendet, wie hier: die auffallenden Halb-
figuren der schwebenden Engel, deren Unterleib durch Wolken über-
schnitten gedacht ist, sind in der kölnischen Kunst schon seit der Mitte
des 14. Jahrhunderts häufig, man findet sie auf einer Kreuzigung bei
Robinson in London, einem niederrheinischen Gemälde, das etwa in der
Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden ist, auf Stephan Lochners Dombild
und auf anderen Werken dieses Künstlers und anderer Nachfolger Meister
Wilhelms; endlich kommt auch die Darstellung selbst in ähnlicher An-
ordnung auf mehreren kölnischen Bildern vor: Maria mit dem Kinde,
umgeben von sitzenden heiligen Frauen, erscheint auf einem Gemälde
aus Meister Wilhelms Schule und einem von der Hand des Meisters des
Marienlebens (beide in der Berliner Galerie).
Daß die künstlerischen Vorstufen unseres Holzschnittes in der
Kölner Schule zu suchen sind, kann nach diesen Andeutungen kaum
zweifelhaft sein. Doch ist damit noch nicht gesagt, daß der Zeichner
des Blattes selbst ein Kölner gewesen sein muß. Schon seit der Auf-
findung des Holzschnittes hat man darin einen starken Einfluß Van
Eyckscher Kunstweise bemerkt, ja man hat diesen Umstand sogar als
Grund gegen die Echtheit des Datums 1418 benützt. In den Werken
der Van Eyck finden sich nun in der Tat ähnliche Trachten und eine
sehr verwandte Behandlung des Faltenwurfes; fy-mans vergleicht mit
Recht die regelmäßigen Falten, die sich oberhalb und unterhalb des
Gürtels des Untergewandes Mariä auf unserem Holzschnitte zeigen, mit
denen an derselben Stelle in der Kirchenmadonna der Berliner Galerie.
Aber auch die leise Neigung der Köpfe und die Anordnung der offenen
Haare, die fast bei allen Gestalten des Holzschnittes auffallen, sind die-
selben wie auf dem eben genannten Bilde, das kürzlich Georges Hulin
nebst anderen Werken Hubert van Eyck zugeschrieben hat. Bestätigt
sich diese Vermutung, die mir nicht unbegründet erscheint, so wäre auch
dasDatum 1418 auf unserem Holzschnitte nicht mehr unerklärlich; denn
zu dieser Zeit hatte ja sicherlich Hubert van Eyck den Höhepunkt seines
Schaffens erreicht, ja vielleicht schon überschritten, und der Künstler,
der unseren Holzschnitt gezeichnet hat, wäre dann einer der frühesten,
die unter seinen Bann gekommen sind. Freilich ist er nur ein braver
Handwerker, der trotz einer gewissen Neigung zu den neuen malerischen
Errungenschaften der Van Eyck, doch noch in der Hauptsache an älteren
vornehmlich zeichnerischen Gepflogenheiten festhält. Eine Reihe von
Untersuchungen über die Anfänge der Van Eyckschen Kunst wird
heute von verschiedenen Forschern vorbereitet. Diese Arbeiten werden
vielleicht auch unserem Holzschnitte ihre Aufmerksamkeit schenken und
die Frage entscheiden, ob der Zeichner ein von den frühen Werken
der Van Eyck beeinflußter Kölner oder, wozu ich meinem Gefühle nach
eher neigen würde, ein von kölnischer Kunst angeregter Brügger Künstler
ist. Der Einfluß der kölnischen Malerei, die ja schon im 14. Jahrhundert
eine hohe Blüte erreicht hat, auf die niederländische Kunst, die sich viel
später entwickelt zu haben scheint, wird sich — heute kaum angedeutet
— dann erst im einzelnen genauer nachweisen lassen. Vielleicht wird
auch für die Frage nach dcmEntstehungsortunseres Holzschnitteszu er-
wägen sein, daß sein Gegenstand, Maria mit dem Kinde, umgeben von
weiblichen Heiligen, in der späteren Brügger Kunst seine schönste Aus-
bildung erlangt hat, wovon Gerard Davids herrliches Bild in Rouen und
des sogenannten Waagenschen Mostaert ähnliche Darstellungen (wie
z. B. das Gemälde beim Grafen Arco-Valley in München) die spätesten
und zugleich die vorzüglichsten Beispiele sind.
Jedenfalls wissen wir Henri Hymans Dank dafür, daß er diese
wichtige, früher mit unzulänglichen Mitteln beantwortete und heute fast
vergessene Frage von neuem aufgeworfen und in vorurteilsfreier Weise
der Lösung nahegebracht hat. Den Kennern der frühen Holzschneide-
kunst wollen wir es überlassen, ob sie dem Holzschnitt von 1418 den
Vorrang vor dem heiligen Christoph von 1423 werden einräumen wollen.
Wer weiß, ob sich nicht in der Zeitbestimmung der frühen Holzschnitte
ursprüngliche Ziffer L, die der Fälscher weggekratzt habe, ersetzte. Doch
hat einige Jahre später Friedrich Lippmann, obwohl er noch nicht an
die Entstehung des Blattes im Jahre 1418 glaubte, ohne Umschweife
konstatiert, daß die genaueste Untersuchung keine Spur von einer Ver-
fälschung des Datums erkennen lasse. Nun zeigt die neugefundene
Sankt Gallner Kopie, bei der die Inschrift fehlt, vollkommen klar, was
jenes 0 zu bedeuten hat: es ist der Kopf eines Nagels, womit der
Schrägbalken an dem Horizontalbalken befestigt ist. Dieser Nagelkopf
sitzt bei der Kopie genau an derselben Stelle, wie bei dem Originale, wo
er die Inschrift unterbricht. Ein ähnlicher Fall einer solchen Unter-
brechung eines Datums findet sich, wie mir scheint, auf einem der be-
rühmtesten Gemälde der Welt, auf Raffaels Madonna im Grünen:
hier sieht man auf dem Halssaume des Kleides Mariae neben
unerklärten Buchstaben deutlich die Jahreszahl MDVI, in der die
Ziffern V und I durch ein knopfartiges Ornament getrennt sind.
Ebensowenig wie bei dem Datum 1418 auf unserem Holzschnitte kann
man sich hier unter dem Knopfe eine Ziffer verborgen denken, ein Einfall,
der überdies sicherlich für naive Zeiten ganz und gar nicht passen würde.
Daß also das Datum 1418 wirklich auf dem Holzschnitte der
Brüssler Bibliothek steht, das hat Hymans unwiderleglich bewiesen.
Er fragt nun vollkommen folgerichtig, ob wir ein Recht haben, die Weg-
lassung eines Buchstaben — sozusagen einen Druckfehler — anzu-
nehmen und dadurch das Blatt in spätere Zeit zu versetzen, wie dies
bisher von der Mehrzahl der Forscher geschehen ist, die in dieser Frage
das Wort ergriffen haben. Ich glaube, wir hätten zu dieser Annahme
nur dann ein Recht, wenn wir beweisen könnten, daß der Brüssler
Holzschnitt auf einer Kunststufe stünde, die im Jahre 1418 noch nicht
erreicht sein konnte. Dies ist aber bis heute noch keineswegs bewiesen.
Die Anfänge der Van Eyck hüllen sich noch für unsere Augen in
ein tiefes Dunkel, das sich aber dank den Forschungen der letzten Jahre
allmählich zu erhellen beginnt. Hubert van Eycks künstlerische Persön-
lichkeit, die uns so lange unklar geblieben ist, scheint uns endlich deut-
licher und faßbarer werden zu sollen. Jedenfalls ist Hubert van Eyck
um das Jahr 1418 auf der vollen Höhe seiner Kunst, und es ist anzu-
nehmen, daß neben ihm und seinem Bruder Jan auch andere geringere
Künstler und Handwerker, zu denen man den Zeichner unseres Holz-
schnittes zählen mag, tätig gewesen sind. Hymans macht außerdem
darauf aufmerksam, daß es in den Niederlanden und auch außerhalb
derselben in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bedeutende Künstler
gegeben hat, die sich, wie z. B. der Meister von Flemalle und Konrad
Witz, parallel mit Jan van Eyck entwickeln und bei denen man auch
parallele, aber nicht identische Vorstufen voraussetzen darf.
Die Frage, wo der Holzschnitt von 1418 entstanden ist, erklärt
Hymans nicht beantworten zu wollen. Sicherlich hat er recht, wenn er
sagt, daß der Ort der Entdeckung allein keineswegs mit Bestimmtheit
niederländischen oder gar Mechelner Ursprung anzunehmen erlaubt.
Auch die von ihm hervorgehobene Übereinstimmung der Kolorierung
des Brüssler Blattes und der der Sankt Gallner Kopie kann meiner
Meinung nach nicht als Beweis für die Entstehung der beiden Blätter
in derselben Gegend gelten; der Kopist hat ja wohl ohne Zweifel ein
koloriertes Exemplar des Originals vor Augen gehabt und die Farben
vielleicht noch getreuer kopiert, als die Zeichnung. Auch die Form des
aus zwei konzentrischen Kreisen gebildeten Heiligenscheines läßt sich,
wie ich glaube, weder für noch gegen die Annahme niederländischen
Ursprungs verwenden; in Deutschland ist diese Form freilich häufiger,
doch begegnet sie uns auch hie und da in den Niederlanden (so z. B.
auf dem etwas späteren Holzschnitte des Berliner Kupferstichkabinetts,
der Maria im Glorienkranz darstellt, abgebildet in den»Documents Icono-
graphiques et Typographiques de la Bibliotheque Royale de Belgique«,
und auf einem der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts angehörenden
Bilde der Antwerpener Galerie Nr. 680, beide Werke durch die Sprache
ihrer Inschriften als niederländisch gekennzeichnet).
Trotz dieser Schwierigkeiten wird es vielleicht doch einmal
möglich sein, den Ort der Entstehung unseres Holzschnittes näher zu
bestimmen. Dem Stile nach zu urteilen, möchte ich glauben, daß es nur
zwei Möglichkeiten gibt: entweder ist das Werk niederländisch oder
kölnisch. Aufeine Einwirkung der kölnischen Malerei deuten gar manche
Einzelheiten hin: Die runde, geschlossene Form der Krone Maria ist
auf kölnischen Bildern von Stephan Lochner an bis zum Meister der
heiligen Sippe häufig; die Schriftbänder sind in ähnlicher Art angebracht,
wie auf dem Gemälde der heiligen Sippe von einem Nachfolger Meister
Wilhelms im Kölner Museum; die Einfriedung findet man auf manchen
kölnischen Werken ähnlich verwendet, wie hier: die auffallenden Halb-
figuren der schwebenden Engel, deren Unterleib durch Wolken über-
schnitten gedacht ist, sind in der kölnischen Kunst schon seit der Mitte
des 14. Jahrhunderts häufig, man findet sie auf einer Kreuzigung bei
Robinson in London, einem niederrheinischen Gemälde, das etwa in der
Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden ist, auf Stephan Lochners Dombild
und auf anderen Werken dieses Künstlers und anderer Nachfolger Meister
Wilhelms; endlich kommt auch die Darstellung selbst in ähnlicher An-
ordnung auf mehreren kölnischen Bildern vor: Maria mit dem Kinde,
umgeben von sitzenden heiligen Frauen, erscheint auf einem Gemälde
aus Meister Wilhelms Schule und einem von der Hand des Meisters des
Marienlebens (beide in der Berliner Galerie).
Daß die künstlerischen Vorstufen unseres Holzschnittes in der
Kölner Schule zu suchen sind, kann nach diesen Andeutungen kaum
zweifelhaft sein. Doch ist damit noch nicht gesagt, daß der Zeichner
des Blattes selbst ein Kölner gewesen sein muß. Schon seit der Auf-
findung des Holzschnittes hat man darin einen starken Einfluß Van
Eyckscher Kunstweise bemerkt, ja man hat diesen Umstand sogar als
Grund gegen die Echtheit des Datums 1418 benützt. In den Werken
der Van Eyck finden sich nun in der Tat ähnliche Trachten und eine
sehr verwandte Behandlung des Faltenwurfes; fy-mans vergleicht mit
Recht die regelmäßigen Falten, die sich oberhalb und unterhalb des
Gürtels des Untergewandes Mariä auf unserem Holzschnitte zeigen, mit
denen an derselben Stelle in der Kirchenmadonna der Berliner Galerie.
Aber auch die leise Neigung der Köpfe und die Anordnung der offenen
Haare, die fast bei allen Gestalten des Holzschnittes auffallen, sind die-
selben wie auf dem eben genannten Bilde, das kürzlich Georges Hulin
nebst anderen Werken Hubert van Eyck zugeschrieben hat. Bestätigt
sich diese Vermutung, die mir nicht unbegründet erscheint, so wäre auch
dasDatum 1418 auf unserem Holzschnitte nicht mehr unerklärlich; denn
zu dieser Zeit hatte ja sicherlich Hubert van Eyck den Höhepunkt seines
Schaffens erreicht, ja vielleicht schon überschritten, und der Künstler,
der unseren Holzschnitt gezeichnet hat, wäre dann einer der frühesten,
die unter seinen Bann gekommen sind. Freilich ist er nur ein braver
Handwerker, der trotz einer gewissen Neigung zu den neuen malerischen
Errungenschaften der Van Eyck, doch noch in der Hauptsache an älteren
vornehmlich zeichnerischen Gepflogenheiten festhält. Eine Reihe von
Untersuchungen über die Anfänge der Van Eyckschen Kunst wird
heute von verschiedenen Forschern vorbereitet. Diese Arbeiten werden
vielleicht auch unserem Holzschnitte ihre Aufmerksamkeit schenken und
die Frage entscheiden, ob der Zeichner ein von den frühen Werken
der Van Eyck beeinflußter Kölner oder, wozu ich meinem Gefühle nach
eher neigen würde, ein von kölnischer Kunst angeregter Brügger Künstler
ist. Der Einfluß der kölnischen Malerei, die ja schon im 14. Jahrhundert
eine hohe Blüte erreicht hat, auf die niederländische Kunst, die sich viel
später entwickelt zu haben scheint, wird sich — heute kaum angedeutet
— dann erst im einzelnen genauer nachweisen lassen. Vielleicht wird
auch für die Frage nach dcmEntstehungsortunseres Holzschnitteszu er-
wägen sein, daß sein Gegenstand, Maria mit dem Kinde, umgeben von
weiblichen Heiligen, in der späteren Brügger Kunst seine schönste Aus-
bildung erlangt hat, wovon Gerard Davids herrliches Bild in Rouen und
des sogenannten Waagenschen Mostaert ähnliche Darstellungen (wie
z. B. das Gemälde beim Grafen Arco-Valley in München) die spätesten
und zugleich die vorzüglichsten Beispiele sind.
Jedenfalls wissen wir Henri Hymans Dank dafür, daß er diese
wichtige, früher mit unzulänglichen Mitteln beantwortete und heute fast
vergessene Frage von neuem aufgeworfen und in vorurteilsfreier Weise
der Lösung nahegebracht hat. Den Kennern der frühen Holzschneide-
kunst wollen wir es überlassen, ob sie dem Holzschnitt von 1418 den
Vorrang vor dem heiligen Christoph von 1423 werden einräumen wollen.
Wer weiß, ob sich nicht in der Zeitbestimmung der frühen Holzschnitte