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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.4238#0063
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Unter dem Einfluß der die neuen Anschauungen des Florentiners bevorzugenden Humanisten mußten sich auch
Maximilians Ansichten über das Wesen des melancholischen Temperamentes umgestalten, die ja einst ganz den
Lehren der salernitanischen Schule entsprachen. Das so mannigfaltige Interesse des Kaisers für naturphilosophische
und medizinische Fragen bot reichliche Gelegenheit, seine Aufmerksamkeit auf die so bewunderte Monographie
Ficinos zu lenken. Berichtet doch über diese Richtung der wissenschaftlichen Veranlagung Maximilians Sebastian
Ranck, genannt Greiff, in einem ihm noch als König, also vor 1508, gewidmeten Jagdbuche, daß er in seinem Auftrage
die deutschen Klosterbibliotheken nicht nur auf »geschichte der alten«, sondern auch »der natur« hin durchforscht
habe, um sie »abzuschreiben und solich schrifft der kunigelichen Majestät zue bringen«; äußert doch der Theologie-
professor Georg Benignus in einem zwischen 1507 bis 1513 verfaßten Werke seine große Bewunderung vor den von
ihm selbst angehörten Gesprächen des Kaisers über naturwissenschaftliche Dinge, besonders auch über die Natur der
Metalle, Steine und Kräuter; ja der kaiserliche Sekretär Josef Grünpeck versichert, bei Niederschrift seiner wahr-
scheinlich 1515 verfaßten vita Friderici III et Maximiliani I sogar ein Werk des letzteren de naturis animalium et
variis rerum experienciis vor sich gehabt zu haben.1

In genauer Kenntnis der Vorliebe Maximilians, sich in den Mußestunden derart zu beschäftigen, hatte somit
Celtis hervorgehoben, daß sich in den quatuor libri amorum Aufschlüsse über das Wesen der vier Temperamente und
ihr Verhältnis zu den übrigen Naturerscheinungen befinden. Wenn man demnach bei einem Werke versucht ist, sich
dessen Fehlen in der Innsbrucker Büchersammlung Maximilians dadurch zu erklären, daß er es auf seinen Reisen mit
sich führte, so ist das bei Adelphus' Übersetzung von Marsiglios ersten beiden Büchern de vita der Fall, zumal sie
als Teil von Brunschwigs »Nüvem Destillierbuche« erschien.3

Zu dem allgemeinen Erkenntnisdrange gesellten sich aber noch ganz persönliche Beweggründe, Ficinos Lehren
über das melancholische Temperament zu beachten; sie sind es, die von vorneherein es nahelegen, daß der Kaiser,
sobald solche »colloquia acutissima« unvermeidlicher Weise sich auf das strittige, astrologische Gebiet erstreckten,
den ganz im Geiste des italienischen Arztes gehaltenen Interpretationen, wie sie ein Agrippa zu geben liebte, ein
willigeres Gehör geschenkt haben wird als den in der Art Jndagines eine Kritik übenden Auslegungen. Das lehrt ein
Blick auf das eigenartige Naturell des Kaisers.

Maximilian gehörte zu den Menschen, die sich beobachteten und über sich nachdachten. Im Weißkunig sagt er
ausdrücklich, daß »er mit seinem verstand auf sein natur und wurkung seines leibs gemerkt habe«.3 Mußte ihm da
nicht beim Hören der neuen Auffassung vom Wesen der Melancholie der Gedanke aufsteigen, daß seine von den
Hofhumanisten und ihm selbst so bewunderte Fähigkeit, auf den verschiedensten Gebieten der Wissenschaften
und Künste Neues und Ungewöhnliches zu erdenken, eine Erscheinung jenes humor melancholicus wäre, von dem
Marsiglio solche Wunderdinge zu erzählen wußte! Allerdings, nach den im Weißkunig enthaltenen Andeutungen
über das Horoskop Maximilians beherrschte der vom Jupiter beeinflußte, also diesmal feuchte und warme Qualitäten
besitzende Merkur die Geburtsstunde und teilte demnach dem Neugeborenen ein sanguinisches Temperament mit,
das sich denn auch in der Heiterkeit seines Gemütes, in der Liebhaberei für Maskenscherz und Tanz, sowie seiner
»geschicklichkeit in der musiken« äußerte.* Aber im Buche vom gesunden Leben steht, daß »die diener musarum
und anhanger der lere« entweder »von anfang her melancholici seind oder werden also von der steten lere«, und
ausdrücklich bringt Celtis die Melancholie mit dem Alter in Verbindung. In der Tat konstatierten die Arzte bei
Maximilian später das Walten des humor melancholicus; so diagnoszierte Tannsteter ihn als Ursache der Krankheit,
die den Kaiser 1518 befiel, und sah ihren tödlichen Verlauf voraus, weil der die Melancholie beherrschende Saturn
zur Zeit ihrer krankhaften Entartung sich an einer unheilbringenden Himmelsstelle befunden hatte.5

Demnach gewannen Marsiglios Lehren vom Verhalten der melancholischen Flüssigkeit im menschlichen Körper,
sowie seine Ratschläge, wie die »Candida bilis zu suchen sei und zu erneren als die beste und allein, die so deren
wieder ist, zu vermeiden als die allerböseste«, für Maximilian eine wichtige praktische Bedeutung. In dem Meinungs-
streit über die Natur des Saturn erblickte er, der ja selbst im Weißkunig der Überzeugung Ausdruck gibt, daß »die

' Vgl. hierüber Gottlieb a. a. 0., S. 52 und 172 über Ranck, S. 53 und 128 über Benignus, sowie S. 121 und 142 über Grünpeck. Diewichtigen
Stellen sind in extenso abgedruckt.

2 Vgl. oben die Ausführungen am Schlüsse des ersten und zu Anfang des nächsten Kapitels.

3 Vgl. Jahrbuch der Kunstsammlungen des A. h. Kaiserhauses, Bd. VI, Der Weißkunig, herausgegeben von Alwin Schulz, S. 68.
* Vgl. Edmund Weiß, A. Dürers geographische, astronomische und astrologische Tafeln im Jahrbuch, Bd. VII, S. 218 ff.

5 Georgius Collimitius Tannsteterus — vgl. artificium de applicatione astrologiae ad medicinam, Argentorati 1531 mense Aprili bei Georgius
Ulricherus erschienen — läßt sich darüber in den p. 37 ff. enthaltenen axiomata pro complemento judicii de crisi, utrum sit salutaris futura necnc
folgendermaßen aus: Verum et hic spectandum est, quales moveat humores (Saturnus) et a quali humore ingruat morbus aegroto. fi (Saturnus)
enim non commovet choleram; igitur si a Cholera provenit ille morbus, non statim est metus mortis. Quod si fuerit melancholia (possunt enim morbi
varii in anno accidere), is certe erit huic perniciosus, qui juxta planetae mali dominantis naturam exorietur. Ita enim contigit Maximiliane) Caesari
anno Christi 1518. Nach Cuspinian soll Tannsteter den Tod des Kaisers Freunden schon lange vorausgesagt haben, vgl. E. Weiß a. a. O. S. 218,
der nur Cuspinians vita Maximiliani, aber nicht obige Angabe Tannsteters kennt.
 
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