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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.4239#0037
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Paris. Jahrhundertfeier Eugene Isabeys
und Raffets. — Retrospektive Ausstellungen sind immer
interessant. Man kommt hin mit dunkeln Erinnerungen
oder mit vorgefaßten Urteilen, wie man sie aus Büchern
geschöpft hat, und hat dann vor den ausgestellten Werken
gewöhnlich viel umzulernen.

Eugene Isabeys Ansehen hat durch diese Aus-
stellung gerade nicht gewonnen. Er zeigte sich als guter
Maler, der bei Rubens etwas in die Schule gegangen ist.
Nach der Meinung der zeitgenössischen Kritiker hätte er
von Rubens den »geistreichen Vortrag« gelernt. Es waren
einige riesengroße Gemälde von ihm da, ein Schiffbruch
und ein Schiffsbrand, wo er sogar dramatisch sein wollte,
aber nur theatralisch geworden ist. Viel besser waren
einige kleine, wirklich geistreich gemalte Bilder. Neben den
Bildern waren noch Zeichnungen, Aquarelle und Litho-
graphien ausgestellt. Besonders die Lithographien waren
sehr beachtenswert, schon wegen ihrer sicheren und
verständnisvollen Technik.

Raffets Werke, die in denselben Räumen aus-
gestellt waren, hatten unter dieser Nachbarschaft etwas
zu leiden. Und doch ist Raffet der größere Künstler, nicht
so glänzend, aber tiefer. Seine berühmten Lithographien:
»Die nächtliche Heerschau«, »Der Traum« (in einem von
Giacomelli nicht erwähnten Zustand), »Lützen«, »Es lebe
der Kaiser!« und andere sind kraftvolle Blätter, mag auch
die Technik etwas zu wünschen lassen. Auch von seiner
anerkannten Meisterschaft im Bildnis waren schöne
Proben zu sehen. Viele Feder- und Bleistiftzeichnungen
und Aquarellskizzen mit Offizieren um 1850, nach der
Mode lächerlich eng geschnürt, dramatisch belebte
Illustrationen, in Holzschnitt ausgeführt für das Musee de
la Revolution, fremde Typen, Tartaren, Russen, Polen,
Kabylen und andere zeigten uns Raffet als die Autorität
auf dem militärischen Gebiete für das XIX. Jahrhundert,
von dem ein Neuville ausgegangen ist und schließlich
nach diesem die Mehrzahl der heutigen Militärmaler.

Alles in allem eine interessante Ausstellung, die
aber besser gewirkt hätte, wenn sie getrennt worden wäre
und wenn man, so weit es Raffet betrifft, weniger sparsam
und dafür etwas verständnisvoller in der Wahl der
Blätter gewesen wäre. Ich suche vergeblich nach einem
Grunde, warum »La Prise du fort Mulgrave« aus-
geschlossen worden ist, dagegen eine kalte und lang-
weilige offizielle Komposition wie »Le Devouement du
Clerge catholique dans Rome« sogar in zwei Exemplaren
Aufnahme gefunden hat. C.-J.

Paris. — Eine retrospektive Ausstellung im Luxem-
bourg hat uns die Arbeiten Henri Monniers vorgeführt.
Monnier, der Schriftsteller, Karikaturist und sogar auch
Schauspieler war, hat in allen diesen Eigenschaften nur
einen Typus hinterlassen: Hrn. Joseph Prudhomme, den
Kleinbürger um 1840, dessen ganze geistige Habe in
großsprecherischen leeren Phrasen bestand. Als Zeichner
ist Monnier nüchtern und kleinlich. Sein von Daumier

gezeichnetes Bildnis, das auch ausgestellt war, wirkte
wie Gulliver im Königreiche Lilliput. C.-J.

Paris, Ausstellung von Arbeiten Constantin
Guys' (Galerie Barbezanges). — Constantin Guys
(1802 —1889) ist einer der wirklich bedeutenden Künstler,
einer, dessen Werk für die Kunstgeschichte in Betracht
kommt, der etwas Eigenes und etwas Neues zu sagen hat.
In dem Gewühl der Maler und Zeichner sind nicht gar
zu viele, die wirklich zählen. Selbst unter denen, deren
Namen die Menge im Gedächtnis behält, wie viele sind
es, deren Werke dauern? Wie so mancher berühmte
Name stirbt mit seinem Träger! Wie viele Arbeiten, die
einst für Meisterwerke gehalten und als solche teuer be-
zahlt wurden, finden ein Jahrzehnt nach dem Tode
ihres Schöpfers kaum zu lächerlich niedrigen Preisen
einen Käufer? Wieviel ist heute ein Meissonier wert,
ein Dubufe, ein Winterhalter, ja selbst ein Benjamin-
Constant oder ein Geröme?

Constantin Guys hat gleich Hervier bei Leb-
zeiten den Ruhm nicht kennen gelernt, aber die Nach-
welt läßt ihm volle Gerechtigkeit widerfahren. Übrigens
scheint er sich wenig darum gekümmert zu haben, er hat
ohne Zweifel die Berühmtheit richtig eingeschätzt. Baude-
laire, der ihn auf ein paar unvergänglicher Seiten gefeiert
hat, bezeichnete ihn nur mit dem Anfangsbuchstaben.
Er nannte ihn den Maler des modernen Lebens, und dieser
Name ist ihm geblieben.

In der Tat war Guys, und zwar ausschließlich, der
Maler seiner Zeit. War er überhaupt ein Maler? Es hat
den Anschein, daß er weniger deshalb zu Stift und
Pinsel griff, um die Natur zu übersetzen, als vielmehr
deshalb, weil es ihn drängte, seine Eindrücke festzu-
halten. Seine unzähligen Zeichnungen und Aquarelle sind
wie ein Tagebuch, Abend für Abend geschrieben, für ihn
selbst, nicht für das große Publikum, »Bekenntnisse,
geflüstert im Beichtstuhl des Herzens,« wie der Dichter
der Fleurs du Mal sagt.

Die gegenwärtige Ausstellung ist außerordentlich
interessant. Sie lehrt uns zwar nichts Neues über Guys,
das taten die früheren Ausstellungen im Jahre 1895 bei
Moline und Georges Petit, aber sie bekräftigt unsere
Wertschätzung durch eine glückliche Auswahl bedeutender
Blätter, bedeutend nicht durch die Mache, sondern durch
die Stärke und Klarheit des Ausdruckes. Dieser geniale
Skizzenzeichner, dessen Kraft der Beobachtung ihres-
gleichen sucht, ist ein Meister in der schweren Kunst,
aus dem Wechselnden das unveränderlich Bleibende
herauszuheben und mit ein paar wuchtigen Strichen
oder Farbenflecken den Geist einer ganzen Epoche
festzuhalten.

Guys war unter anderen Arbeitsbedingungen und
bei einer anderen Methode (er zeichnete fast nie nach
der Natur) der Maler seiner Zeit, sowie es für die unsere
Renouard ist. Beide sind Journalisten, nur daß sie sich
statt des Tintenfasses und der Feder des Bleistifts, des
 
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