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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.4249#0010
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— 6 —



i.

Die Darstellungen der S-Folge sind in der
E-Folge meist gegenseitig wiedergegeben, doch
häufig so, daß die agierenden Arme wieder ver-
tauscht, also rechtseitig dargestellt sind. Viele
Bilder der einen Folge sind also halb gegenseitig,
halb rechtseitig zu denen der anderen gegeben.
Es läßt sich daher aus der Wendung der Figuren
nach der einen oder der anderen Seite kein Schluß
auf die Originalität einer der beiden Folgen
ziehen. Auch sonst ist eine Reihe von Verän-
derungen der Zeichnungen zu bemerken. Die
Arithmetica zum Beispiel ist in der E-Folge Geld
zählend dargestellt, in der S-Folge hält sie eine
Tafel mit Zahlen, Prima Causa hat in der S-Folge
die vier Evangelistenzeichen in den Ecken, die
auf dem Blatte der E-Folge fehlen. Einer der
Stiche, der König, zeigt in den beiden Folgen
ganz verschiedene Komposition. In der S-F'olge
trägt er antike Rüstung und ist nach links hin
gewendet, in der E-Folge ist er in Modetracht
gekleidet und ganz von vorn gesehen, und so
weiter.
Die viel größere Sorgfalt und Feinheit der
technischen Ausführung, die die Blätter der
E-Folge auszeichnet, hat alle Kritiker, mit Aus-
nahme des tresflichen Bartsch, dazu geführt, die
Priorität und Originalität dieser Stiche als un-
zweifelhaft zu betrachten. Die Sache liegt aber
doch keineswegs so einfach. In der Komposition
und in der Zeichnung sprechen sehr viele Mo-
mente zu Gunsten der S-Folge. Meist sind hier
die Bewegungen viel freier, runder und natür-
licher, weniger manieriert, heftig und geziert;
viele Motive sind besser verstanden und sach-
gemäßer wiedergegeben; die Gewänder sind viel
frischer und lebendiger bewegt, die Falten runder
und weniger steif und leblos als in der E-Folge.
Man vergleiche auch zum Beispiel die Bildung
der Flügel, die in der S-Folge viel organischer
und bewegungsfähiger scheinen als in der E-
Folge. Vor allem aber sind hier die Typen fast
überall viel feiner, ausdrucksvoller und empfin-
dungsreicher, dort meist verflacht und leer. Die
Form der Buchstaben ist in der S-Folge plumper und noch stark mit gotischen Elementen durchsetzt, in der E-Folge
zierlicher und eleganter, nach antiken Vorbildern aus dem Quadrat konstruiert, man vergleiche zum Beispiel das R in
den beiden Stichserien. Die Ponderation der Gestalten im Räume ist fast durchgehends in der E-Folge viel weniger
gelungen als in der S-Folge (vergleiche zum Beispiel Erato und Temperantia). Der Stecher der E-Folge kommt deshalb
öfters mit seinen Figuren ins Gedränge und muß manchmal sogar Teile der Zeichnung abschneiden (vergleiche Zinti-
lomo und Sol). Er vereinfacht auch häufig die Ornamentik, unterdrückt oft die noch etwas schweren, gotisierenden
Verzierungen der S-Folge und läßt auch sonst gern kleine Nebendinge ganz fort. Fast alle Abweichungen der einen
Folge von der andern sprechen dafür, daß die schlechter gestochene S-Folge die ursprünglichen Kompositionen, wie
sie aus der Beobachtung erwachsen waren, mit mehr sachlichem und künstlerischem Verständnis und mit größerer
Treue wiedergeben als die technisch vollendetere E-Folge.
In dem dritten Blatte zum Beispiel, das den »Artixan«, einen Goldschmied, in seiner Werkstatt darstellt (s. Abbil-
dungen Seite 6 und 7), ist die Anordnung in der S-Folge ganz klar und sachgemäß. Der Lehrbursche steht zur Rechten
des Meisters, damit er seine Arbeit beobachten könne und zum Handreich bereit sei. In der E-Folge ist die ganze


ARTIXAN MI

Aus der E-Folge der »Tarocchi«.

•3'
 
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