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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.4249#0026
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— 22 —

bisher eine so bescheidene Rolle spielt. Speziell graphische
oder Schwarz-Weiß-Ausstellungen gibt es hier noch gar
nicht und die geringe zeichnerische und graphische
Produktion muß sich mit einem wenig vorteilhaften Platz
unter großen Ölgemälden auf den periodischen Bilder-
ausstellungen begnügen.
Allerdings in der verflossenen Saison hatte die
Graphik in Moskau, trotz des Revolutionsjahres, die
seltene Gelegenheit, sich in günstigen Verhältnissen vor
dem Publikum zu manifestieren, denn zum ersten Male
wurde in den intimen Räumen des Künstlerklubs eine
quasi graphische Ausstellung arrangiert, das heißt eine
solche, welche die speziell graphischen Techniken, mit
Ausschluß der Ölmalerei, umfassen sollte. Allein auch
diese diente nur wieder als Beweis, wie wenig echte
Graphik es eigentlich in Rußland gibt und daß Pastell,
Aquarell, Buntstift etc. viel öfter malerischen als zeichne-
rischen Aufgaben dienen. Und dieser Eindruck wurde,
wie gewohnt, durch die sonstigen periodischen Aus-
stellungen der »Moskauer Künstlergenossenschaft«, des
»Vereins der Wanderausstellungen« und schließlich des
»Sojus«, welcher die Blüte russischer Künstlerschaft um-
faßt, bestätigt.
Die Zahl der speziellen russischen Graphiker, welche
auf den hiesigen Ausstellungen letzthin erschienen, ist
mehr als gering: Frau Ostroumowa-Lebedeff, Fräulein
Elisabeth Kruglikoff und die Herren Manganari
und Falilejeff. Frau Ostroumowa ist eine talentvolle
und feine Xylographin, die eine ganze Serie reizender, in
der Farbe sehr geschmackvoller Blätter — Motive aus
Petersburger Schlössern, Italien und Finnland — ge-
schasfen hat, in denen stets eine intime lyrische Note
klingt. Diesmal ist sie der Farbe untreu geworden und hat
nur einfarbige, dekorative, architektonische Holzschnitte
ausgestellt. In ganz anderer Richtung arbeitet Falilejeff,
den wir zum ersten Male kennen lernten und der vor-
wiegend auf malerische Effekte hinzielt. Seine farbigen
Holzschnitte — stark stilisierte Landschaften — bilden
gewissermaßen einen Gegensatz zu denen seiner älteren
Kollegin. Dort ist die Zeichnung, die Linie Hauptsache
und die Farbe dient bloß zur Erhöhung der dekorativen
Wirkung, hier herrscht der breite Farbenfleck vor und
das Kolorit erscheint oft outriert. Am meisten ausgeglichen
unter Falilejeffs Blättern war wohl seine kleine Gewitter-
szene. Die Radiererin Fräulein Kruglikoff wohnt be-
ständig in Paris und der Einfluß moderner französischer
Graphik ist in ihren Arbeiten recht fühlbar, welche außer-
dem auch inhaltlich an Frankreich erinnern. Am an-
sprechendsten sind ihre französischen Landschaften und
Städtebilder, in ihren flguralen Kompositionen dagegen
stört die absichtliche grobe Zeichnung. Als Pariserin pflegt
Fräulein Kruglikoff auch die farbige Radierung, aber mit
nur geringem Erfolg, denn allzu oft empfängt man hier
den Eindruck handkolorierter Blätter. Alles in allem — ein
sympathisches Talent, aber keine Individualität. Manga-
nari ist vielleicht eine solche, wenigstens scheint er einst-

weilen auf der Suche nach einem eigenen Stil zu sein. In
kombinierten Techniken radiert er meist Aktstudien und
ähnliche Vorwürfe, denen er den Charakter halbver-
wischter alter Handzeichnungen zu geben sucht.
Zu diesen ausschließlichen Graphikern gesellte sich
auf der Ausstellung des »Sojus« ein älterer, anerkannter
Malerund einer der besten russischen Zeichner, L.Paster-
nak, mit seinen ersten und bereits sehr gelungenen
Versuchen auf dem Gebiete der Radierung. Neben einem
großzügigen Porträt des Grafen Tolstoj nach einer
früheren Zeichnung waren da eine reizende Kinderszene
und eine lebensvolle kleine Porträtskizze — beides
vernis-mou — zu sehen. Von Pasternak hingen auf der
gleichen Ausstellung einige seiner meisterhaften Kinder-
studien in Pastell und zwei Zeichnungen nach Maxim
Gorki, von denen die Profilansicht in Buntstift dem
Künstler besonders geglückt ist.
Wenn wir nunmehr zu den Zeichnern übergehen,
so muß hier die sonderbare Tatsache hervorgehoben
werden, daß deren größter Teil — Pasternak bildet als
Moskauer eine Ausnahme — sowie auch die meisten
russischen Graphiker aus Petersburg stammen oder dort
wenigstens ihren Wohnsitz haben. Für die repro-
duzierenden Künste ist dies zum Teil verständlich, da die
einzige Lehrstelle für Graphik in Rußland die kaiser-
liche Kunstakademie in St. Petersburg bildet. Aber für die
Zeichenkunst ist ein derartig sichtbarer Grund nicht leicht
aufzuweisen. Sollte er vielleicht in der landläufigen Mei-
nung zu finden sein, daß Petersburg überhaupt mehr Ver-
standesmenschen, Moskau dagegen eher Temperamente
hervorbringt? Wie dem auch sei, jedenfalls besteht jener
Kreis von Zeichnern, welche sich seinerzeit um die nun-
mehr eingegangene Kunstzeitschrift »Mir Iskustwa«
gruppiert hat und von ihr in mancher Hinsicht lanciert
wurde, fast ausschließlich aus echten Petersburgern.
Da ist vor allem der auch bereits auswärts be-
kannte Konstantin Somoff, der brillante und immer
pikante Künstler mit seinem raffinierten Stilgefühl, von
dem dieses Jahr in Moskau nichts zeichnerisch Be-
deutendes zu sehen war, der technisch vollendete, immer
geschmackvolle Buchkünstler, Eugen Lanceray, der
mit einem ausgezeichneten Aquarell im historischen
Genrebild debütierte, dann der vielseitige, geschickte
L. Bakst, der jedoch am besten als Zeichner mit seinen
beiden Porträtzeichnungen, der Novellistin Zenaide
Hippius und des Schriftstellers Andrey Bjely, sowie
einigen ornamentalen Aquarellen repräsentiert war. Zu
ihnen gehört auch der Kunstschriftsteller Alexander
Benois, dessen diesjährige realistische Aquarelle aus
Versailles lange nicht an seine früheren, mehr stilisierten
heranreichten, von dem jedoch einige seiner trefflichen
Illustrationen zum Puschkinschen »Ehernen Reiter« aus-
gestellt waren, welche einst im »Mir Iskustwa«, von
Frau Ostroumowa in Holz geschnitten, reproduziert
worden sind; ferner M. Dobushinsky, der mit Vorliebe
Motive aus Petersburg zeichnet und in ihnen dekorative
 
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