Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1908

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4234#0021
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MITTEILUNGEN

DER

GESELLSCHAFT FÜR VERVIELFÄLTIGENDE KUNST.

BEILAGE DER „GRAPHISCHEN KÜNSTE".

1908. WIEN. Nr. 2.

Studien und Forschungen.

Eine Zeichnung- von Johann Stephan von Calcar zum Titelblatte der Anatomie

des Andreas Vesalius.

So reizvoll die Buchillustrationen des XV. Jahrhunderts als Ausdruck eines primitiven, oft sehr feinen Kunst-
empfindens, als Zeugen des sicheren künstlerischen Geschmacks jener Zeit uns heute erscheinen mögen, die Meister
der monumentalen Kunst und ihre kunstverständigen Auftraggeber werden sie gewiß oft nicht ohne geringschätziges
Lächeln betrachtet haben. Im Gegensatz zu der von Meisterhand prächtig miniierten Handschrift war das mit Holz-
schnitten verzierte gedruckte Buch im ersten halben Säkulum der Typographie doch wesentlich für ein bescheidenes
künstlerisch wenig anspruchsvolles Publikum, für die ungelehrten und unverwöhnten Leute bestimmt, die wir heute
allerdings um diese kräftige, schmackhafte Kost wohl beneiden müssen.

Im XVI. Jahrhundert ändern sich die Verhältnisse vollkommen. Das gedruckte Buch hat das geschriebene, mit
kostbarer Handmalerei verzierte Manuskript verdrängt und verlangt nun eine den Anforderungen seiner gebildeteren
und verwöhnteren Abnehmer entsprechende Ausstattung. Es sind aber nicht bloß diese gesteigerten künstlerischen
Ansprüche ihres Publikums, die die Verleger und Drucker veranlassen, Meister der monumentalen Kunst als Zeichner
für den Schmuck und die Illustration des Buches heranzuziehen, auch der Inhalt vieler Bücher beginnt neue und
schwierigere Anforderungen an den Illustrator zu stellen. Der erwachende wissenschaftliche Geist beginnt die Wichtig-
keit und Notwendigkeit der Anschauung zu erkennen und vom Illustrator eine genaue, der Wirklichkeit entsprechende
Wiedergabe der Dinge, über die der Autor seinen Leser belehren will, zu verlangen. Rein künstlerisch bedeutet dies
Streben, dem Bilde durch exakte Naturtreue überzeugende Beweiskraft zu geben, nicht immer einen Fortschritt, aber
es hebt das Niveau der künstlerischen Anforderungen, die an die vervielfältigenden Künste gestellt werden. Eine
lehrhafte Absicht hat auch der Buchillustration des XV. Jahrhunderts keineswegs gefehlt, aber man begnügte sich mit
schematischen Darstellungen, mit der bloßen Andeutung der Dinge, von denen im Buche die Rede war. Eine exakte,
soweit als möglich getreue Wiedergabe der Gegenstände nach der Natur wird erst etwa seit dem zweiten Viertel des
XVI. Jahrhunderts der den Text begleitenden Abbildung zur Aufgabe gestellt. Kunst und Wissenschaft treten so hier
in eine bedeutungsvolle Wechselbeziehung. Der Künstler hilft dem Gelehrten, den Gegenstand seiner Forschung dem
Leser anschaulich machen, er seinerseits empfängt selber durch solche Aufgaben wichtige Anregungen zur genauen
Naturbetrachtung und neue Einsichten in die Erscheinungen der Natur. Geniale Männer wie Leonardo und Dürer
waren ihre Wege zur Naturerkenntnis selbständig gegangen und hatten der wissenschaftlichen Anschauung gewaltig
vorgearbeitet, für die Allgemeinheit war die Feststellung des erworbenen Schatzes an Beobachtungen eine Voraus-
setzung für den weitem Fortschritt.

Das Studium der Pflanzenkunde und des Baues des menschlichen Körpers tritt zuerst mit solchen Forderungen
genauer Wiedergabe der Objekte nach der Natur an den Künstler heran, Bücher technischen Inhalts, architektonische
und archäologische Werke folgen ihnen. Es ist kein Zufall, daß zuerst in solchen naturwissenschaftlichen Werken
die Künstler, die die Zeichnungen für die Illustrationen ausgeführt haben, mit Namen lobend erwähnt werden. Der
Illustrator selbst wissenschaftlicher und technischer Werke des XV. und des beginnenden XVI. Jahrhunderts stand,
von einzelnen Ausnahmen abgesehen, mit dem Autor und fast auch mit dem Buche, das er zu illustrieren hatte, in
keiner engeren Beziehung, seine Arbeit war eine rein äußerliche Zutat zu dem Buche, das er wohl meist nicht einmal
 
Annotationen