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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.6491#0025
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begreiflicherweise nicht darum, ob sich die Fliege oder ein fliegenähnliches Tier an derselben Stelle auch auf anderen
Kopien des Rosenkranzfestes vorfinde.

Diese Kopien zerfallen in zwei Gruppen: in getreue, vollständige und in solche, die gekürzt und auch sonst abge-
ändert sind. Zur ersten Gruppe gehören außer dem bereits genannten Bild in England noch die Kopie, die 1841 von
Johann Gruß, dem letzten Restaurator von Dürers Original, angefertigt wurde und heute im Vorzimmer der Prälatur des
Stiftes Strahov hängt, und die derzeit nicht ausgestellte Kopie im Wiener Kunsthistorischen Museum, die vielleicht etwas
später als die 1653 und 1654 von Johann Christian Ruprecht gemalten Kopien der »Marter der Zehntausend« ebenda
und des Allerheiligenbildes in Laxenburg, aber sicher noch im XVII. Jahrhundert entstanden ist. Auf der Kopie von Gruß
kommt ebenso wie auf der vom Jahre 1840 datierten Pause von Philipp Kadlik in der Albertina die Fliege natürlich nicht
mehr vor, da sie damals ja auch schon auf dem Original verschwunden war. Dagegen ist sie, und zwar genau an der-
selben Stelle wie auf der englischen so auch auf der eben besprochenen Wiener Kopie zu sehen. Diese Kopie war in der
ersten Auflage des Dürerbandes der Klassiker der Kunst abgebildet. Während aber auf der Autotypie dort von der Fliege
nichts zu sehen war, läßt sieh diese auf der vortrefflichen Heliogravüre nach der Kopie in Sevenoaks in der Dürer
Society (The first Portfolio, 1898) deutlich wahrnehmen. Was die zweite Gruppe von Kopien anbelangt, so gibt es die
Fliege auf beiden Kopien mit der heiligen Katharina (statt des Papstes), sowohl auf der in Lyon, als auch auf der in Laxen-
burg befindlichen aus dem Vorrat der Wiener Galerie. Die Kopie, die gleichfalls die heilige Katharina an Stelle des Papstes
zeigt und sich 1885 im Besitze des Herrn Magistratsrates Dr. Johann Urban in Prag befand, ist heute verschollen (ich
vermute aber, daß sie mit der Fliege behaftet ist), und auf der Martin Polak (f 1632) zugeschriebenen Kopie mit einem
polnischen Edelmann und mit Erzherzog Maximilian dem Deutschmeister an Stelle von Papst und Kaiser im
Ferdinandeum zu Innsbruck fehlt die Fliege.

Auf Grund der vier Kopien in Sevenoaks und in Wien, in Lyon und in Laxenburg ist jedenfalls mit Sicherheit
anzunehmen, daß die friedliche Summerin am gleichen Platz des Originals, nämlich auf dem weißen Tuch, auf dem
Maria über ihrem blauen Gewand das Kind hält, ebenfalls gesessen haben müsse. Heute allerdings ist dort, wie gesagt,
nichts mehr zu sehen. Wölfflin (I. Auflage, S. 128) urteilt gerade über das weiße Linnen, auf dem das Kind ruht, folgender-
maßen: »Die Maria hat eine ganz frei wirkende Bildung nicht gewinnen können (der Kopf im Original völlig übermalt),
im Gefält kommt es zu peinlichen Stockungen und die Restauratoren haben das Unglück vermehrt: das lahme Weißzeug
beim Kinde ist eine grobe Entstellung des ursprünglichen Motivs«.

Nach der Wiener Kopie geurteilt,ist die Fliege nach linksgerichtet, und zwar in einer Linie, die die Spitze des linken Ring-
fingers des Kaisers mit der rechten großen Zehe des Kindes verbindet. Ihr Kopf ist ungefähr 3 cm von der Zehenspitze des Kindes
entfernt. Sie hat rötliche Augen und denRücken der Länge nach schwarz und gelb gestreift. Ihre Vorderbeine stehen nach links
und rechts vorne, ihre Mittelbeine zu beiden Seiten etwas rückwärts, und ihre Hinterbeine schließen sich hinten in Form einer Raute.

Nach Dürers Original wäre das Tierlein zweifellos naturgeschichtlich zu bestimmen gewesen. So, läßt sich von ihm
nur sagen, daß es keine Stubenfliege, sondern die etwas umfangreichere Stallfliege ist und seiner größten Längenaus-
dehnung nach 9 mm mißt.

Mit dieser Maßangabe ist aber etwas Wesentliches festgestellt: die Fliege ist lebensgroß, während dieGestalten auf dem
Bilde (und mit ihnen selbstverständlich alles andere) nur in halber Naturgröße dargestellt sind. Mit anderen Worten: es ist
keine Fliege gemeint, die sich auf das Linnen des Jesuskindes, sondern eine, die sich an dieser Stelle auf das Bild gesetzt hat.

Sie verdankt also einem Malerscherz ihr Dasein und ihren Zweck hatte sie erreicht, wenn sie einen Betrachter so
weit täuschte, daß er sie für eine wirkliche hielt. Man mag sich etwa Meister Dürers lächelnden Triumph vorstellen, als
an seinem Ehrentage, an dem der Doge und der Patriarch seine Tafel besichtigten, etwa der Kardinal, mag es nun der
Grimani oder der Suriano gewesen sein, nach dem zudringlichen Tierchen, das selbst vor so schöner und heiliger Dar-
stellung keine Ehrfurcht bezeigte, mit der beringten Rechten eine verscheuchende Bewegung machte, um bald überrascht
und bewundernd zu erkennen, daß ihn der große nordische Künstler ein ganz klein wenig zum besten gehabt habe. Vermutlich
wird in dem erregt den Vorfall besprechenden Gefolge auch ein in den Alten belesener Mann gewesen sein, der seinen Plinius
kannte und sofort beredt ausführte, Messer Alberto Duro sei nicht dem Zeuxis zu vergleichen, der mit seinen Trauben bloß
die Spatzen getäuscht, sondern dem Parrhasius, der mit seinem Vorhang sogar den Zeuxis irregeführt habe.

Natürlich liegt die Wurzel für Dürers scherzhaftes Kunststücklein, das er wie ein Satyrspiel im kleinen dem ernsten
Schauspiel seines Rosenkranzfestes angefügt hat, in derlei von den vielbewunderten alten Schriftstellern überlieferten
Geschichtchen. Es gibt sogar einen literarischen Beleg aus derselben Zeit hiefür. Christoph Scheurl berichtet in seinem
ungefähr gleichzeitig mit Dürers zweitem venezianischen Aufenthalt geschriebenen Libellus de laudibus Germaniae sowohl
von einem Selbstbildnis seines großen Landsmannes, das von dessen Hündchen mit Liebkosungen bedeckt worden sei,
deren Spuren er selbst noch gesehen habe, als auch von gemalten Spinnweben des Meisters, womit dieser die abstaubenden
Mägde getäuscht habe. Also zwei Seitenstücke zu des Plinius Histörchen von Zeuxis und Parrhasius, auf die zum Über-
fluß von dem Nürnberger Rechtsgelehrten auch noch eingangs hingewiesen wird.

Gab aber die verehrte Antike den Anlaß zu unserem Malerspäßchen, so stammen die Mittel, es ins Werk zu setzen,
natürlich von ganz anderer Seite her. Im Italien vom Anfang des Cinquecento wären sie sicher nicht zu finden gewesen.

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