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Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst — 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.6491#0026
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Der erste und der letzte, der sich dort, aber noch unbeholfen ihrer bedient hätte, Pisanello, war schon ein halbes Jahr-
hundert tot. Die Fliege auf Dürers berühmtem Altargemälde für die Kirche seiner Landsleute in Venedig kam — schnur-
stracks oder auf Umwegen — von den Randleisten der Seiten eines vlämischen Livre d' heures her geflogen. Dort gab
es schon seit langem neben allerhand Blumen, die so täuschend gemalt sind, daß man sie wegnehmen zu können glaubt,
ebenso naturgetreue Käfer, Schmetterlinge, Raupen und Fliegen. Um nur ein Beispiel für viele zu nennen, so finden sich
Fliegen in den Randleisten des sogenannten älteren Gebetbuches Kaiser Maximilians 1., das ungefähr 1486—1488 wahr-
scheinlich in Brügge von einem Monogrammisten P. B. gemalt wurde. Von solchen Buchmalereien wußte Dürer gewiß
schon als Knabe durch seinen Vater, der ja wie bekannt während seiner Wanderjahre bei den »großen Künstlern" in den
Niederlanden gewesen war. Vor seinem zweiten Aufenthalt in Venedig hatte Dürer sicherlich bereits derlei kostbare, mit
kunstreicher Klein- und Feinmalerei reichlich ausgestattete Gebetbücher kennengelernt. Bei kunstsinnigen begüterten
Freunden in Nürnberg oder in Wittenberg, wo er ja bereits 1494/95 in Meister »Jhan«, in dem man Mabuse zu erkennen
"cr,laubt hat, auch den ersten »niderlendisehen Maler-< von Angesicht zu Angesicht kennengelernt haben wird.

Ob aber gerade bei einem Dürer die Lust, ähnliche zarte Pflänzchen und Tierlein mit kleinmeisterlicher Kunst
darzustellen, überhaupt erst von außenher geweckt zu werden brauchte, möge dahingestellt bleiben. Feststeht, daß sein
Pinsel zu Beginn des Jahrhunderts mit heute noch bewundertem und angestauntem Erfolg der Natur im kleinen und
kleinsten nachgegangen ist. Sein gepriesener Hase in der Albertina, auf dem jedes Härchen dem lebendigen Vorbild nach-
gezogen zu sein scheint, ist von 1502 datiert, zwei Jahre vor dem berühmten Stilleben mit Rebhuhn, Fausthandschuh
und Armbrustbolzen von Jacopo de' Barbari in München. Ungefähr um dieselbe Zeit muß die lavierte Federzeichnung der
Muttergottes mit den vielen Tieren, gleichfalls in der Albertina, entstanden sein. Auch das große Rasenstück ebendort
dürfte etwa damals gemalt worden sein. Der prachtvolle Hirschkäfer aber, bei J. P. Heseltine in London, trägt das Datum
1505, rückt also ganz nahe an die Fliege auf dem Rosenkranzfest heran.

Lehrreich ist zu beobachten, daß Dürers Fliege, die, wie wir gesehen haben, ein Ergebnis antiker Literaturbeispiele
und niederländischer Kunstvorbilder ist, in der nördlichen Kunst derselben oder einer etwas früheren Zeit nicht vereinzelt
dasteht. Auf dem im Wiener Kunsthistorischen Museum ausgestellten Altersbildnis Erzherzog Sigismunds von Tirol kriecht
eine Fliege über das apfelgrüne Wams des Porträtierten. Auf der berühmten aus Lindenholz geschnitzten und aufs sorg-
fältigste »gefaßten« Vergänglichkeitsgruppe des gleichen Museums sind auf das häßliche alte Weib nicht weniger als drei
Fliegen gemalt, die Schlosser (Präludien, 1927, S. 377) hier lediglich als Symbol der Hinfälligkeit alles Irdischen nimmt.
Auch auf dem Doppelbildnis des Meisters von Frankfurt, das den Maler und seine Frau darstellen soll, im Besitz des
Herrn Stephan Auspitz in Wien, ist eine Fliege gemalt. Sind auf allen diesen drei Kunstgebilden die Fliegen lebensgroß
"ehalten, so wirken sie auf dem Schnitzwerk, wo sie übrigens trotz ihrer schlechten Erhaltung auch ihrerseits den Beweis
erbringen, daß die Fassung von einem ganz vorzüglichen Maler herrührt, und auf dem Gemälde des Meisters von Frankfurt
übergroß im Verhältnis zu den dargestellten Personen. Daraus geht natürlich wieder hervor, daß auch hier eine Täuschung
des Betrachters beabsichtigt ist, also ein Künstlerscherz vorliegt.

Auf D. Pfennings Kreuzigungsbild von 1449 im Wiener Kunsthistorischen Museum sind die am Kreuzesholz herab-
rinnenden Blutstropfen naturgroß gemalt, das ist im Vergleich mit den Gestalten des Bildes viel zu groß. Hier hat die zur
Schau getragene Meisterschaft des Künstlers natürlich keinen Scherz zum Ziele, sondern dient dem Zwecke, das heilige
Blut des Erlösers den Betrachtern möglichst eindringlich und sinnfällig vor Augen zu führen. Zweifellos liegt auch hier in
gewissem Sinne eine Täuschungsabsicht vor.

Mit einer Fliege, die sich etwa neben einer Ameise, einer Schnecke und dergleichen auf einem Blumenstück von
Jan van Huysum findet, hat Dürers Fliege natürlich ebensowenig zu tun wie etwa mit der, die Gabriel Max auf der Auf-
erweckung von des Jairus Tochter dem Mägdlein auf den linken Arm gemalt hat. Hier soll sie andeuten, daß, wo sie
sitzt, in dem von Christus gehaltenen Arm, noch Totenstarre herrscht.

Zum Schluß sei noch bemerkt, daß unter den zahlreichen Illustrationen des Horapollo-Manuskriptes in der Wiener
Nationalbibliothek, die Röttinger heute Dürers Doppelgänger, Peter Vischer dem Älteren, zuschreibt und zu denen allen
es vermutungsweise einmal Vorzeichnungen Dürers gegeben hat, auch eine Fliege vorkommt. Von ihr heißt es in der
Handschrift: »Pertinaciam vero ostendentes, muscam pingunt, quoniam sepius repulsa iterum tarnen recurrit.« Sollte
Dürer mit dar Fliege auf dem Rosenkranzfest vielleicht auch ein scherzhaftes kleines Denkmal der Hartnäckigkeit
haben setzen wollen, mit deren Hilfe es ihm gelang, das umfängliehe, figurenreiche Bild in so außerordentlich kurzer
Frist, »quinquemestri spatio«, fertigzustellen?

Das Manuskript ist wahrscheinlich um 1517 entstanden, daß Dürer aber bereits 1506 von derlei humanistischer
Geheimwissenschaft eine Ahnung gehabt hat, ist höchst wahrscheinlich. Befanden sich doch auch schon 1505/06 Gelehrte
in seinem näheren Umgang, außer dem bereits genannten Scheurl zum Beispiel auch noch der Furlaner Ricardus Sbrulius,
der 1508 auf Empfehlung Kaiser Maximilians vom Kurfürsten von Sachsen nach Wittenberg berufen worden ist. Laut
einem von Scheurl abgedruckten höchst aufgeblähten lateinischen Gedicht dieses Sbroglio wurde er von Dürer porträtiert.
Vielleicht ist er es, den das Bildnis eines jungen Mannes in Hampton Court darstellt. Arpad Weixlgärtner.
 
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