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Bibliotheca Hertziana [Hrsg.]; Bruhns, Leo [Gefeierte Pers.]; Wolff Metternich, Franz [Gefeierte Pers.]; Schudt, Ludwig [Gefeierte Pers.]
Miscellanea Bibliothecae Hertzianae: zu Ehren von Leo Bruhns, Franz Graf Wolff Metternich, Ludwig Schudt — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 16: München: Schroll, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.48462#0440
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Karl Noehles. Das Tabernakel des Ciro Ferri in der Chiesa Nuova zu Rom

genössischen Berichten hervorgeht, auch wirklich ausgeführt waren31. Dieses malerisch konzipierte
Gebilde, obgleich bereits in sich selbst von ruhiger tektonischer Komposition, war durch einen engen
Triumphbogen der in die Kirche nach Cortonas Entwurf eingebauten Festarchitektur gerahmt. Ferri
hat auf eine solche Rahmung verzichtet, obgleich seine Komposition wesentlich labilere Formen auf-
weist. Was bei ihm im zeichnerischen Entwurf noch malerisch vereinheitlicht und durch die Blattgrenzen
zusammengehalten erscheint, dem droht in der plastischen Ausführung auf dem Altar die Auflösung.
Daran ändert auch das dahinter befindliche Altarretabel nichts, da das Tabernakel nicht organisch in
dieses hineinkomponiert ist. Die Unterschiede zwischen Cortonas und Ferris Konzeption sind freilich
auch solche der Generation. Allgemein geht in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die größere Form-
komplexe zusammenfassende Kraft und der Sinn für tektonische Bindung bewegter Gebilde immer mehr
zurück. Den Tabernakeln der Siebziger- und Achtzigerjahre drohte die Gefahr der Formauflösung in
besonderem Maße, da das Motiv der schwebenden Engel für sie sozusagen obligatorisch wurde32 33. Doch die
Mehrzahl dieser Tabernakel entgeht dem durch einen architektonischen Überbau oder eine festigende
Rahmung, sei es durch ein Ciborium (S. Maria in Traspontina, 1674), durch Einfügen in ein Altarretabel
(S. Maria dei Miracoli, um 1679), durch ein halbziborienartiges Retabel (S. Maria del Suffragio, um
1675-1680) oder durch ein aus der Wand herausentwickeltes Pseudoretabel (Capp. Lancellotti inS. Gio-
vanni in Laterano, nach 1675). In der Sakramentskapelle von St. Peter (wie die Ferris 1673 begonnen)
stellte Bernini ein streng architektonisches Gebilde als Tabernakel in die Mitte zwischen zwei in ruhiger,
straffer Komposition angeordnete Engel. Auch in Sto. Spirito in Sassia, wo das Motiv Berninis in freierer
und lockerer Weise abgewandelt ist und ein kleines Ciborium mit spielerischer Leichtigkeit fast frei-
schwebend von zwei Engeln gehalten wird, ist die Gesamtdisposition gefestigter als bei Ciro Ferri.
Dessen Verzicht auf eine architektonische Bindung kann nicht als Rücksichtnahme auf das Altarbild
des Rubens erklärt werden. Berninis Tempietto verdeckt das Trinitätsbild von Cortona auch fast zu einem
Drittel. Ferri selbst hat in einem Entwurf, in dem er auch die umgebende Architektur entwarf, eine in
ihrem Charakter ganz ähnliche Situation geschaffen wie in der Chiesa Nuova. In einer Zeichnung für
die Umgestaltung von S. Maria Maddalena dei Pazzi in Florenz {Abb. 307)zz stellte er zwei kniende
Engel, die eine Monstranz halten, in bewegten, offenen Formen vor das Hochaltarbild, das er selbst
ausführen sollte. Aber schon dadurch, daß diese Engel durch das gemeinsame Halten der Monstranz
miteinander und durch das Motiv des Kniens mit dem Altaraufsatz fest verbunden gewesen wären,
würden sie der Vereinsamung entgangen sein, in der sich die schwebenden vollplastischen Figuren der
Chiesa Nuova befinden.
Der Entwurf Ferris - auf dem Papier von schöner dekorativer Flächenwirkung - mußte durch die
Umsetzung in die vollplastische Gestalt notwendig starke Einbußen erleiden, weil er schon in der
Konzeption viel zu wenig den Grundforderungen plastischen Gestaltens Rechnung trug. Das Tabernakel
der Chiesa Nuova ist selbst für den römischen Hochbarock ein extremes Beispiel einer aus dem Geist der
Malerei begriffenen Plastik34.
31 Vgl. Oskar Pollak, Die Kunsttätigkeit unter Urban VIII, I, Wien, Augsburg, Köln 1928, S. 163, Reg. 513.
32 Die Vorstellung von den Engeln, die die Hostie anbeten oder schwebend die Opfergaben des Altars zu Gott hinauf- oder das
Opfer Christi auf den Altar herabtragen, war seit dem Ende des 16. Jhs. tief im theologischen Denken der Zeit verwurzelt. Vgl.
dazu die in Anm. 4 zitierte Literatur (Male, S. 301 ff., und Jürgens, S. 192ff.).
33 Uffizien A 101773, 355 x 193 mm, Feder, Bister laviert. (Die Abbildung gibt nur den unteren Teil wieder.) Das Blatt ist die eigen-
händige Vorzeichnung Ferris für den Stich in „Disegni di vari altari e cappelle nelle Chiese di Roma date in luce da Gio. Giacomo
De Rossi“ Roma, o. J.
34 Nach Abschluß des Manuskriptes Anfang des Jahres 1959 erschien das Buch ,,Altari barocchi in Roma“, a cura di Emilio
Lavagnino, Giulio R. Ansaldi e Luigi Salerno, Edizione fuori commercio, Banco di Roma, 1959. — Die dort zitierten hand-
schriftlichen ,,Schede di S. Maria in Vallicella“ von Neppi, denen die Autoren offenbar die Kenntnis eines früheren Ciborium-
Entwurfes von Pietro da Cortona (zwischen 1653 und 1660) verdanken, konnten nicht mehr berücksichtigt werden.
 
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