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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr. 1
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Knapp, Valentin: A. Jessop Hardwick
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0034
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A. JESSOP HARDWICK

VON VALENTIN KNAPP-KINGSTON-ON-THAMES

Die beiden letzten Jahrzehnte des neunzehnten
Jahrhunderts waren in England Zeugen einer
bedeutsamen Neubelebung der Kunst in ihrer An-
wendung auf die Architektur. Die Wirkung dieser
modernen Renaissance können wir sowohl in öffent-
lichen wie in Privatbauten wahrnehmen; aber wäh-
rend die ersteren fast nur in den grossen Städten
vertreten sind, fällt uns die Wandlung in der Wohn-
hausarchitektur fast überall in die Augen. Nirgends
ist Englands Reichtum neuerdings so wohltuend
zum Ausdruck gekommen wie in dem malerischen
Reiz, der Mannigfaltigkeit und der kunstvollen
Pracht, wie sie die Wohnstätten seiner Bewohner
aufweisen. Dabei geben nicht etwa nur die Häuser
der Reichen und Grossen diese künstlerische Wieder-
geburt kund. Das bescheidene Heim des Vorstadt-
bewohners wie das einfache und doch so reiz-
volle Landhaus am Saum der Heide, in der Waldes-
lichtung, am Ufer des Bächleins oder am Strande
der Ost- und Südküste : sie alle legen ebenfalls
Zeugnis ab von jener „Neubelebung". V
V Wer zum erstenmal das britische Gestade betritt
oder nach einem Zwischenraum von zwanzig oder
dreissig Jahren seine Schritte wieder dorthin lenkt,
dem wird gewiss, wenn er mit normalen Augen
um sich schaut, die grosse Mannigfaltigkeit in der
künstlerischen Behandlung kleinerer vorstädtischer
oder ländlicher Wohngebäude auffallen. Gerade bei
Häusern dieser Art hat sich das Talent des Bau-
künstlers auf das Bemerkenswerteste betätigen kön-
nen. Es ist eine minder schwierige Aufgabe, „in
grossem Stile'' alles zur Anwendung zu bringen, was
„ein schönes Haus" vor Augen stellt, als auf be-
schränktem Baugrund und mit beschränkten Mitteln
einen Plan zu entwerfen, der alle architektonischen
Züge so wirken lässt wie bei einem Gebäude grös-
seren Massstabes. Dieses Problem hat der englische
Architekt zu lösen gehabt und er hat es tatsächlich
gelöst. In den feineren Vorstädten, wo der Bau-
grund kostspielig ist, hat er oft auf einem 100 Fuss
(30 m) langen und 200 Fuss tiefen Bauplatz ein
Wohnhaus zu errichten, das in seiner äusseren und
inneren Ausstattung mit einem durch keinerlei
Schranken beengten Bau wetteifern soll, der sich
nach Lord Beaconsfields Ausdruck im eigenen
„stolzen Gehege" oder mitten im ausgedehnten Park
erhebt. Das ist die Schule, welche die jüngere
britische Architekten-Generation durchzumachen

hatte, und in der sie sich auf Grund ihres Studiums
der besten einheimischen architektonischen Muster
glänzend bewährt hat. V

V England ist reich an stattlichen Herrensitzen
und schönen alten Wohngebäuden, die in ihrer ge-
mächlichen inneren Einrichtung wie in ihrem male-
rischen Aeusseren der modernen Architektenschule
Motive ohne Ende geliefert haben. Aber nicht
dies allein ist es. Es handelt sich nicht etwa, wie
ein Unkundiger meinen könnte, um eine sklavische
Abhängigkeit von den alten Vorbildern. Viel eher
könnte man sagen: Wir finden hiereine volle und
freie Entwicklung des Besten, was englische Herren-
häuser aufweisen können, unter gleichzeitiger Be-
rücksichtigung dessen, was heutzutage Hygiene,
Luxus und Komfort verlangen. Die hygienische For-
derung des Spülsystems, die Zuleitung heissen und
kalten Wassers, Badezimmer, Ventilation, Elektri-
zität bedeuten ebensoviele neue Probleme für den
Architekten; dies ist freilich eine triviale Bemerk-
ung, aber es muss doch auch hier auf die un-
zweifelhafte Tatsache hingewiesen werden, eine
wieviel bessere Lösung diese Probleme heute finden
als vor zwanzig oder dreissig Jahren. Auch wird der
englische Architekt gut tun, nicht zu vergessen, dass
sein Auftraggeber um so zufriedener ist, je mehr
ihm sein neues Haus einen ausgiebigen Genuss
des Sonnenscheins gestattet. Bei der weiten Aus-
breitung moderner wissenschaftlicher Anschauungen
kennt der Durchschnittsengländer den Wert von
Licht und Luft gut und lobt die Anlage des Hauses,
wenn die Fenster auf der Morgenseite das frühe
Sonnenlicht hereinführen, die letzten Träume des
Schlummernden zu vergolden und sein Frühstücks-
zimmer zu durchfluten, und wenn die Mittags- oder
Nachmittagssonne sein Lese- oder Wohnzimmer
ungehemmt erhellen kann. V

V Die Führer der geschilderten reformierenden
Bewegung gehören noch nicht zu den Alten, und
doch finden sich in ihrer Gefolgschaft schon viele
Bannerträger der architektonischen Kunst, welche
nach ihrer Meinung ohne jene „Neubelebung" nur
den halben Wert hat. Ihrer einer ist Arthur Jessop
Hardwick, der in Kingston, der altertümlichen, ehr-
würdigen Themsestadt unweit London, seinen Wir-
kungskreis findet. Hardwick ist, als jüngerer Sohn
von James Jessop Hardwick, dem bewährten Mit-
gliede der „Royal Society of Painters in Water
 
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