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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr. 2
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Haenel, Erich: Max Hans Kühne
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0073
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MAX HANS KÜHNE

VON DR. ANTON ERICH HAENEL-DRESDEN

In dem Erbe, das die Kunst des neunzehnten
Jahrhunderts der Gegenwart hinterlassen hat,
bildet einen der bedenklichsten Punkte die Un-
popularität der Architektur. Soviel auch von
Schinkel bis Gedon in deutschen Landen gebaut
worden ist: Kaum einem der Meister, selbst Gott-
fried Semper nicht ausgenommen, ist es gelungen,
seinen Namen im Empfinden des Volkes so wurzeln
zulassen wie es mit Cornelius, Kaulbach und Ludwig
Richter geschah. Aber nicht nur das, sondern es
fehlte vor allem im Publikum ein wirkliches Ver-
ständnis für die kulturellen Werte, die in der Archi-
tektur ruhen. Es fehlte das Bewusstsein davon,
dass die Kunst, die am engsten mit dem täglichen
Leben jedes Einzelnen verknüpft ist, deren Werke
dem Unsterblichkeitsbedürfnis der Menschheit am
gewaltigsten Genüge tun, auf der breitesten Grund-
lage nationaler Bildung im Schönheitlichen wie im
Wirtschaftlichen und Sozialen ruhen muss, wenn
sie ihren hohen Aufgaben gerecht werden soll. V

V An diesem Verhältnis war nicht nur die Ab-
hängigkeit von fremden Stilformen schuld, unter
der in jenem Jahrhundert die Baukunst stand.
Gewiss veranlasste sie jene berüchtigte Vorstellung,
es sei zu „richtiger" Beurteilung von Bauwerken ein
besonderes archäologisch-historisches Wissen not-
wendig, ein Wissen, dessen sich der einfache Staats-
bürger in der Regel ja nicht rühmen durfte. Vor
allem aber nahm die Malerei, in zweiter Linie erst
die Plastik, soviel von dem sog. künstlerischen In-
teresse weg, dass für die Architektur nur eben noch
ein Schatten kühler Teilnahme übrig blieb. Die
Kunstvereine sorgten dafür, dass auch der Mittel-
stand genug Schönes und Edles für billiges Geld
zu sehen bekam. Man bewunderte den Geist Gottes
in der Geschichte, dem der grosse Kaulbach immer
grandiosere Leinewände widmete, man versetzte sich
mit warmen Schauern herzlicher Rührung in „Land-
wehrmanns Heimkehr", man erkannte mit Stolz in
dem kostbaren Bronzereiter die Züge des verewigten
Landesherrn. Die Form des Anteils, den der ge-
rechte Kammmacher aus Sachsen an seinen Sonn-
tagnachmittagen den Neubauten schenkt, deckte
sich nur allzuoft mit dem des deutschen Publikums
an seiner Baukunst. V

V Dass die Gründung des Reiches an diesem Zu-
stand nichts änderte, sondern an Stelle der Indo-
lenz nur den, in Luxusbauten der protzigsten Art

sich austobenden Grössenwahn setzte, ist allbekannt.
Erst zwanzig Jahre später brachte der deutsche
Einheitsgedanke in Bruno Schmitz' Landschafts-
denkmälern Werke hervor, aus denen deutsche Kraft
und Geistesgrösse in eignen, gewaltigen Worten zu
der Mitwelt sprach. Und daneben entstand als monu-
mentaler Organismus noch imponierender, in höchst
persönlicher Weiterbildung ernster Renaissance-
ideen, das Riesenwerk von Wallots Reichstagshaus.
V Man stelle sich nun die weitere Entwicklung
nicht so vor, dass diese Arbeiten eine architekto-
nische Schule hervorriefen, aus der dann die Neu-
geburt der deutschen Baukunst herauskeimte. Sicher-
lich blieb die Anregung, die in ihnen steckte, nicht
ungehört. Aber der neue, belebende Wind, der
seit nunmehr etwa einem Jahrzehnt durch die
dumpfen Hallen unsrer Architektur weht, kommt
nicht vom Kyffhäuser und vom Berliner Königs-
platz. An die Gestaltung des Innenraumes als
eines in sich harmonischen, einheitlichen Kunst-
werkes, wie sie in England zuerst wieder von
schaffenskräftigen Künstlern geübt worden war, an
die Bildung des Wohnhauses als eine Vielheit der-
artiger Räume, im Anschluss auch an die volks-
tümliche Bauweise älterer Perioden, knüpft sich
die neue Bewegung in der deutschen Architektur.
VSie ist untrennbar von der gleichzeitigen des Kunst-
gewerbes, oder besser der Kunst in Handwerk und
Industrie. Die Grenzen, die ehemals für Kritik
und Geschichtschreibung die angewandten Künste
unter sich trennten, sind endgültig verwischt. Kaum
dass es dem Historiker einmal möglich sein wird,
die sogenannten freien Künste in der Darstellung
ganz von jenen zu scheiden, wenn er die Strömungen
in ihrem grossen Zusammenhang schildern will. In
dem Masse aber, wie das Verlangen nach einem
künstlerischen Gestalten auch des einfachsten
Stückes Hausrat aus dem reinen Bedürfnis, dem
absoluten Zwecke heraus lauter und dringender
erscholl, machte sich eine Vermittlung zwischen
diesem Neuen und denjenigen notwendig, für die
das revolutionäre Feuer entzündet worden war.
Diese Vermittlung fiel naturgemäss in erster Linie
der journalistischen Kunstkritik zu. Galt es doch
nicht nur einen neuen Geschmack zu propagieren,
wie schon Dutzende durch die Presse ihren Weg
gefunden hatten — nein, einer Gedankenwelt musste
das Feld geebnet werden, die den Menschen in
 
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