Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

DOI issue:
Nr. 2
DOI article:
Lux, Joseph August: Die Missstände der heutigen Grossstadtanlagen, [2]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0055
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
V

MODERNE BAUFORMEN

MONATSHEFTE FÜR ARCHITEKTUR

DIE MISSSTANDE DER HEUTIGEN GROSSSTADTANLAGEN

VON JOSEPH AUG. LUX, WIEN-DÖBLING
(Fortsetzung und Schluss)

Die befriedigende Lösung der Städtebaufragen und
die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse
nach künstlerischen und sozialen Grundsätzen hängt
davon ab, ob die Verwaltungen und Regierungen
die ihnen zustehende Macht zum Wohle der All-
gemeinheit ausnützen oder nicht. Die sozialstädte-
bauliche Fürsorge muss verlangen, dass die heute
nicht mehr gerechtfertigte Bevorzugung der Haus-
und Grundbesitzer in der Gemeindevertretung
wegen ihrer meistens persönlichen Interessen auf-
hören müsste. Es handelt sich darum, aufzuzeigen,
dass die Wurzeln dieser Fragen sehr viel tiefer
reichen, als man gemeiniglich annimmt, und dass
hier von den Wurzeln an die Krankheit behandelt
werden muss, wenn die Krone gesunden soll. Es
wird dahin kommen müssen, dass die wahren Träger
der Kultur, die einen grossen Sinn und ein warmes
Herz für die künstlerischen und sozialen Interessen
besitzen, als hervorragende Architekten, Ingenieure,
Sozialpolitiker, verwaltungserfahrene Juristen die
Aufgabe der Gemeindevertretung übernehmen, um
die grossen Stadt- und Landbebauungsfragen in
einer für das Wohl der Allgemeinheit und die Schön-
heit des Landes zuträglichen Weise durchzuführen.
V Die dringendste Aufgabe, ohne die es keinen
ernsten Fortschritt in diesen Dingen gibt, ist die
Eindämmung des Spekulantenwesens, eine Ange-
legenheit, die auf Grundlage der gegenwärtigen
Machtverhältnisse im Gemeindewesen nicht durch-
geführt werden kann. Weitgehende Enteignungs-
rechte, Einführung eines Vorkaufsrechtes der Ge-
meinde bei Zwangsverkäufen, als ein Mittel, das
Gemeindegut auf billige Weise so viel als möglich
zu vergrössern und gerecht zu verteilen, oder der
Idealgedanke des amerikanischen Agrariers Henry
George, der in der Verstaatlichung des gesamten
Bodens besteht, würden bei den heutigen Kom-
munalpolitikern auf entrüsteten Widerstand stossen.

Und dennoch wird die Entwicklung diesen Weg
gehen müssen, um zu jenen einfachen und ge-
sünderen Besitzverhältnissen zu gelangen, die schon
bei den germanischen Vorfahren und im Mittel-
alter als Lehenswesen die wirtschaftliche Grundlage
bildeten, die in moderner Form in dem sogenannten
Erbbaurecht wiederkehrt. V

V Das Erbbaurecht hat es z. B. in London ermög-
licht, trotz der Riesenbevölkerung jede Familie in
ihrem eigenen Hause unterzubringen, trotzdem die
dortigen Grundpreise weit höher sind, als in den
kontinentalen Hauptstädten. Grund und Boden um
London gehört einigen wenigen Lords, die den
Boden nicht verkaufen, sondern den Erbauern von
Häusern pachtweise auf eine bestimmte Zeit (99
Jahre) überlassen. Nach Ablauf derselben geht das
Haus ohne Entschädigung an den Grundbesitzer
über. Das Haus muss selbstverständlich amortisiert
werden, doch sind die Amortisationsquoten ver-
hältnismässig sehr gering. Die Erlangung des be-
rühmten eigenen Heims für jede Familie und ge-
sundes und billiges Wohnen, städtische Neubildungen
nach künstlerischen Gesetzen im Anschluss an die
natürlichen traditionellen Verhältnisse, hängt von
der legislativen Durchführung der volkstümlichen
Besitzform ab, die in dem Erbbaurecht vorliegt.
Freilich ist auch hier wieder der Spekulation ein
Riegel vorzuschieben, wenn sich nicht abermals
der Segen in einen Fluch verwandeln soll. Es ist
durchaus notwendig, dass mit Hilfe entsprechender
Enteignungsgesetze Grund und Boden wieder Ge-
meindeland und von der Gemeinde selbst in einer
Weise in Erbpacht gegeben werde, welche die Not-
wendigkeiten aller Bevölkerungsklassen in freiester
und humanster Weise bedenkt. V

V Diese neue Besitzform und ihre gerechte Hand-
habung ist eine Angelegenheit für eine nach grossen
sozialpolitischen und künstlerischen Motiven han-
 
Annotationen