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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr. 5
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Lehmann, A.: Von der Laienmeinung über die Arbeit des Architekten
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0174
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Von der Laienmeinung über die Arbeit des Architekten

mehrfach angeregten Kennzeichnung gehoben wer-
den. Das Gesetz, wie z. B. das Strafgesetz versteht
unter „Baukunst" in der Regel „Bautechnik". Dem
Volke muss der Begriff „Baukunst" im echten Sinne
des Wortes wieder beigebracht werden. Es muss
wissen, dass die Architektur in gewisser Hinsicht
die Grundlage der bildenden Künste ist und dass
die Betätigung darin eine vielseitige Lebens-
erfahrung und Menschenkenntnis, ein ge-
waltiges technisches Können und eine stark
empfindende künstlerische Kraft voraussetzt,
Momente, wie sie vereinigt sich bei den Schwester-
künsten nicht wiederfinden. Der „Bund deutscher
Architekten" wird mit seinen Zielen, die gleichfalls
inder Richtungeiner geistigen Höherstellungunseres
Berufes liegen, nicht allzuviel Erfolg haben, wenn
seine Bedeutung nicht tiefer ins Volk dringt. Aus
ihm stammt nun einmal der grösste Teil der Auf-
traggeber. V
V Ein weiterer Grund für die geringe Bewertung
der geistigen Arbeit des Architekten durch das
Publikum liegt in dem Umstand, dass der Laie,
ohne selbst dabei verpflichtet zu sein, so selten
Gelegenheit hat, Pläne zu sehen und zu begreifen.
Jeder Architekt hat schon die üble Erfahrung ge-
macht, wie schwierig, zeitraubend und umständlich
es ist, einem neuen Bauherrn einen Grundriss zu
erklären, gar wenn vielleicht eine besonders aus-
geklügelte Lösung sich ergeben hat. Nicht jeder
Architekt ist Meister des Wortes. Es befindet sich
auch nicht in jedem Atelier das Modell eines
Horizontalschnittes durch ein Haus, was wesentlich
die Anschauung fördern könnte. Aber es ist doch
merkwürdig, dass fast jeder nur einigermassen Ge-
bildete die schwierigsten Landkarten oder statisti-
schen Tafeln lesen kann, jedoch nicht imstande ist,
sich einen einfachen Grundriss vorzustellen. Ich
weiss nicht, in welcher Weise in den Volksschulen
pädagogisch die Kinder in die Rätsel einer Land-
karte eingeführt werden, auf jeden Fall aber sollten
auch einfachere Grundrisse u. dergl. zur Erklärung
kommen und von Zeit zu Zeit durch verschiedene
Klassen hindurch besprochen werden, etwa in der
Zeichenstunde, damit diese sehr notwendige Kennt-
nis fürs Leben bleibe. Man fürchte nicht, dass
dies zu schwierig sei, denn ich kenne ein noch
nicht sechs Jahre altes Kind, das ohne Anleitung,
nur weil ich mir einmal die Mühe genommen, ihm
mehr in spielender Hinsicht einen Grundriss zu
zeigen, einen verhältnismässig ganz richtigen Plan
seiner Sechszimmer-Wohnung aufzeichnete. Das
grosse Publikum besucht nun seine Kunstvereine,
Ausstellungen; die Architektur aber ist in ganz
geringem Masse vertreten, und sie hat wahrlich

keinen Grund, sich zu verstecken. Wo sie zu sehen
ist, handelt es sich aber wieder meistens um grosse
Idealprojekte, deren Schaubilder dann wieder die
Menge am stärksten fesseln. Nur der Fachmann
beschäftigt sich mit den Grundrissen. Es lässt sich
nun einwenden, dass die Lösung der inneren Zweck-
mässigkeitnichtzu den reinästhetischenForderungen
der Kunst gehöre, allein die Schönheit eines Ge-
bäudes liegt eben in der augenfälligen Erscheinung
des Notwendigen in seinem Verhältnis zum Bestände
des Ganzen, nach Materie, nach Form, nach Licht
und Schatten betrachtet: Hier könnten die soge-
nannten künstlerischen Vereinigungen
Kunstgewerbevereine — ein grosses Stück idealer
Arbeit leisten, das Publikum durch Vorträge, durch
Anschauungsmittel mit dem Wesen der Architektur
als bildende Kunst vertraut zu machen. Denn das
ist der grosse schwer zu fassende Inhalt der Bau-
kunst" im Unterschied von den anderen bilden-
den Künsten und der Poesie, was sie auch der
Musik so ähnlich macht, „dass sie nicht ein Nach-
bild, sondern die Sache selbst gibt: „Nicht
wiederholt sie, wie jene, die erkannte Idee, wo-
durch der Künstler dem Beschauer seine Augen
leiht, sondern hier stellt der Künstler dem Beschauer
bloss das Objekt zurecht, erleichtert ihm die Auf-
fassung der Idee dadurch, dass er das wirkliche indi-
viduelle Objekt zum deutlichen und vollständigen
Ausdruck seines Wesens bringt." V

V Es ist nun eine mit der obgenannten Laienansicht
übereinstimmende Tatsache, dass Tageszeitungen,
wie überhaupt Nichtfachzeitschriften bei Besprech-
ung von Architekturen, wie sie überall vorkommen,
sei es bei öffentlichen Neubauten oder Wettbewerben,
von der geistigen Arbeit des Architekten so wenig
zu schreiben wissen. Die süsslichsten Salonbilder
werden bei Kunstberichten oft mit einer Breitspurig-
keit, mit einer Ausführlichkeit über Gedanken,
Form und Technik behandelt, die wirklich einer
besseren Sache wert wäre. Jede Skizze wird nach
ihrem Entstehungsgrad gewürdigt. Von dem kom-
plizierten Schaffen des Architekten jedoch weiss
man nichts zu sagen, weil dies Gebiet von dem
Laien vollkommen vernachlässigt wird und man es
von den Fachkreisen aus bis jetzt nicht verstanden
hat, ihn dafür zu interessieren. V

V Ich sah unlängst einmal auf einer Konkurrenzaus-
stellung eine ganz flüchtige Bleistiftfassadenskizze;
der Verfasser, der jedenfalls nicht ganz fertig ge-
worden war, hatte, ästhetische Gründe erwägend,
mit Tusche über die vorhandenen Bleistiftlinien
freihändig andere Architekturwirkungen versucht.
Vor diesem Blatt standen viele Besucher, die sich
dabei zum ersten Male über dies Gebiet der archi-
 
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