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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr. 5
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Baumgärtner, Georg August: Der Neubau der "Münchner Neuesten Nachrichten"
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0176
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DER NEUBAU DER „MÜNCHNER NEUESTEN NACHRICHTEN"

VON G. A. BAUMGÄRTNER-MÜNCHEN

Zu den umfangreichen Geschäftsbauten dieser
hervorragendsten Zeitung Süddeutschlands ist
nun durch die Kunst des vielgenannten Münchener
Architekten Prof. Max Littmann ein glänzendes
monumentales Hauptstück gekommen. Man konnte
von vornherein sicher sein, dass die so vielfach als
Vorkämpfer der Kultur und Moderne hervorge-
tretenen Leiter der „Münchner Neuesten Nach-
richten" das Ausserste tun würden, um mit der archi-
tektonischen Ausgestaltung ihres Zeitungsheimes
ein documentum artis zu schaffen. Nimmer aber
war man sicher, dass ein so vorzüglich in das ma-
lerische alte Bild der Sendlingerstrasse eingepasstes,
mustergültiges und in der Zeitungspraxis wertvolles
Beispiel statuiert würde, wie es nun zur Freude
jedes Kunstfreundes sich weist. V
V Zeitungsbaukolosse gibt es in Deutschland — man
prüfe daraufhin nur die Stuttgarter Druckereien —
und im Ausland genug, nicht aber Muster wie dieser
Neubau, der das Wesen einer Zeitung, ihr Verhält-
nis zur Oeffentlichkeit, ihre Betriebsorganisation in
der Bauform so klar und unzweideutig, monumental-
würdig und in Uebereinstimmung mit dem hei-
matlichen Charakter zum Ausdruck bringt. Fern
aller aufdringlichen Reklame, fällt die in kräftiger
Gliederung gehaltene Fassade angenehm ins Auge.
Aus der tiefen zweigeschossigen Unterkellerung für
Papiervorratsräume und der eingeschossigen für
Kraftmaschinen und Dampfheizung, Dynamo usw.
streben schlanke Steinsäulen auf, die Stützen weiter
hoher Bogen, hinter denen die offene mit Kreuz-
gewölben überspannte Vorhalle der Expedition
liegt. Das Halbgeschoss des Baues ist im Rhythmus
der Säulenstellung gegliedert; Putten, mit Frucht-
und Blumengehängen spielend, sind hier wirksame
Zier. Den ornamentalen Hauptzug, der die ganze
Breite der Fassade beansprucht, trägt der dem
Obergeschoss vorgelagerte Balkon; in dem kräftigen
plastischen Girlandenmotiv ist ein Anklang an das
barocke Element sehr gefällig eingeflochten, das die
alten bürgerlichen Bauten Münchens und der Send-
lingerstrasse im besonderen beherrscht. Die vor
der Mitte der Obergeschosse turmartig hochgeführ-
ten Erker-Risalite haben den Zweck, die Fassade
zu teilen und im Einklang mit den nach innen ab-
geschrägten Frontflügeln und dem überhöhten Pult-
dach des Mittelbaues die Glieder zu einem rhyth-
mischen Ganzen zusammenzuschliessen. Dies ist
mit gutem Geschick erreicht. V

V Der innere Ausbau des Zeitunghauses, durchweg
in Stein, Beton und Eisen konstruiert, besitzt eine
ausserordentlich praktische Einteilung. Gleichsam
eine Fortsetzung des Bürgersteiges bildet die für
Aufmachung von Bildermaterial und wichtigen Mit-
teilungen eingerichtete Vorhalle, das Auge des
inneren Hauses. Durch hohe schwingende Glas-
türen kommt man in die mächtige Expeditionshalle.
Helle lichterfüllte Gewölbe spannen sich über dem
im Geviert übersichtlich angeordneten Schalter-
komplex, vor dem sich das Inseratengeschäft ab-
wickelt. Hinter den von Pössenbacher hergestellten
Schaltern finden sich zur Linken ausgedehnte Ex-
peditionsräume, Gelasse für die Abteilungsvorstände,
Registratur und dergl.; zur Rechten vermittelt ein
eleganter Lift und die schöne, breite Haupttreppe
den Verkehr zum Obergeschoss, wo die Empfangs-
räume des Verlagschefs, die Verlagsdirektion, die
Hauptkasse und der grosse Konferenz- und Reprä-
sentationssaal sich finden, eine meisterhafte Schöpf-
ung angewandter Kunst, von Bruno Paul entworfen
und den Vereinigten Werkstätten für Kunst im Hand-
werk ausgeführt. Aus dem gefälligen Gang des ersten
Stockes führt von der Mitte eine malerische Lauftreppe
zum zweiten und dritten Stock, in denen die Redaktion
der „M. N. N." prächtige, neidenswerte Räume hat, die
von Architekt Schlösser, Heilmann und Littmann (der
Baufirma), A. Niemeyer, Karl Bertsch, Bruno Paul,
W. v. Beckerath künstlerisch ausgestattet wurden.

V Zum vierten Stock vermitteln am nördlichen Ende
des Baues die Haupttreppe, am südlichen Ende
eine Hoftreppe und verschiedene Lifts den Verkehr.
Hier oben „nah dem Himmelszelt" ist ein einzig-
artiges Experiment gemacht, indem die Setzerei in
den obersten Teil des Zeitungshauses verlegt wurde.
Als einzige Halle dehnt sie sich durch den ganzen
weiten Dachraum, dessen Nordwestseite mit Glas
überdeckt ist und im Sommer vermittels einer Be-
rieselungsanlage ständig gekühlt und reflexfrei ge-
halten wird. Wenn man auch überall im Hause
interessante Beispiele des modernen Eisenbeton-
Baues wahrnehmen kann, so sind doch die weiten
grossen Joche hier oben ein ganz besonderes Stück;
in gefälliger Konstruktion gehalten, überspannen
sie in angenehm wirkenden Kurven den riesigen
Dachraum. Weithin gleitet der Blick von der Höhe
des Setzersaales über die Dächer des malerischen Mün-
chen, dessen reiche Architektur nun wieder um ein
bemerkenswertes Meisterstück vermehrt wurde. V
 
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