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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr. 9
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Lux, Joseph August: Schöne Gartenkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0373
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298

Schöne Gartenkunst

lung hat der italienische Garten im Sinne des
Barock durch den Gartenkünstler Ludwig XIV emp-
fangen, durch Lenötre. Architektur, Pracht, Garten-
kunst, Etikette sind eine unlösliche Einheit. Ver-
sailles dominiert auch in den meisten deutschen
Fürstengärten. Es ist fast überall das gleiche Bild,
wo eine Stadt oder eine Provinz heutzutage noch
das Kleinod einer solchen barocken Gartenschöpfung
einschliesst. V
V Eine unvergängliche Heiterkeit ist in den alten
barocken Gartenschöpfungen ausgeprägt, eine Gross-
zügigkeit und Festlichkeit, die mitten im heutigen
Alltag einsam und unverstanden dasteht, als darbende
Schönheit, die nur deshalb darbt, weil die Sinne
fehlen, sie zu bewundern. Noch immer wachen an
den Stufen die schweigenden Sphinxen, starr und
steinern und lächeln. Noch immer tanzen auf den
Geländern die Amoretten, voll unbändiger Freude
und Ungeduld harrend, dass sich das formenreiche
Gittertor öffne, und die Fürstin hervortrete, und
ihren zarten Fuss auf die weissen Marmorstufen
setze, die auf und niedergehen und ewig harren.
Noch immer treiben die anmutigen Putti ihr köst-
lich unartiges Spiel mitten in den Teichen, fangen
ihre Delphine, lassen das Wasser hoch aufspritzen;
der alte Faun mit dem unwiderstehlich lächerlichen
Bocksgesicht erhebt sich schilf- und schlammbedeckt
und probiert seine Wasserkünste, lässt aus der Nase
einen Strahl aufschiessen, wenn auch das eine Nasen-
loch längst mit Erde verstopft ist und den Dienst
versagt. Noch immer stehen die säuberlich ge-
schnittenen Laubwände in geraden Alleen auf einen
zentralen Punkt zulaufend, wie ein heiliger Hain
irgend eine edle Plastik, einen schönen Brunnen,
als kostbares Juwel einschliessend; aus den Nischen
treten die plastischen Bilder von Göttern und Genien
hervor, nicht in ehrwürdiger, Anbetung heischender
Haltung, sondern leicht geschürzt, zu Spiel und
lockeren Abenteuern angetan, galant und zierlich
in Tourschritt oder Menuettbewegung, beziehungs-
reiche Allegorien höfischer Liebesfeste. Jupiter ist
nicht der Donnerer, sondern der Amphitrion des
Moliere, die Musen gleichen den Hofdamen aus
der Zeit Ludwig XIV, die Göttersprache der Olym-
pier ist Monsieur und Madame! Wenn die abend-
lichen Schatten über die Gärten sinken, und die
lärmenden Kinder, die Dienstmädchen, die Soldaten
und Liebhaber verschwunden sind, dann mag es
einem bedünken, als bewegten sich diese steinernen
Gebilde und wandelten die Kieswege auf und nieder,
in Puderperücke und Reifrock. Die Wasser plätschern
als melodische Begleitung zum sanften tändelnden
Liebesgeflüster,leiseklirrtder Degen, Seufzersterben
jm verschwiegenen Dunkel der liebestrunkenen

Nacht, und wenn je ein verspätetes Liebespaar Arm
in Arm geschlungen zwischen den Laubwänden auf-
taucht, dann umkleiden es die schlummernden Stim-
mungen dieser geheimnisvollen Gärten mit ihrer
ganzen Zauberkraft und man mag ein ewig Mensch-
liches mit der vergänglichen Form einer längst ent-
schwundenen Zeit umkleidet sehen, die an diesem
Orte lebendig wird. So mag man noch ferne Mächte
in der Gegenwart nachfühlen, und die Wiederer-
stehung eines Geistes fühlen, den wir längst ver-
schollen und begraben wähnten. Sicherlich, der
Geist, der in diesen alten, barocken Gartenschöp-
fungen lebt, wird wieder seine Auferstehung feiern.
Nicht die Götterpose, nicht die mythologischen
Allüren, nicht der Reifrock oder Puderperücke, über-
haupt nicht, was zeitlich, oder was Mode ist, daher
rasch hinwelkender Vergänglichkeit unterworfen,
sondern die ewig menschlichen Grundprinzipe, die,
auf die materielle Umgebung angewendet, Kunst-
prinzipe heissen, die zwar auf Zeiten vergessen
werden, aber eigentlich nie verloren gehen können.

V Wir haben nun freilich heute ganz darauf ver-
gessen, dass wir an diesen barocken Gartenschöp-
fungen noch viel zu lernen haben. Wenn wir
heute die verloren gegangene Gartenkunst wieder
finden, wenn wir im stände sein wollen, unseren
Hausgärten jenen bestrickenden Zauber, jene An-
mut, die sie einst vor hundert und zweihundert
Jahren besassen, zu geben, wenn wir öffentliche
Gärten und Parkanlagen schaffen wollen, die
wahrhaft einen Genuss für den Stadtmenschen und
eine Vermehrung der städtischen Schönheit bedeuten
sollen, dann müssen wir unser Auge zu allererst
wieder zum Verständnis jener einsamen und aus
Mangel an Bewunderung und kennerhaftem Ver-
ständnis darbenden Schönheit erziehen, die in den
alten barocken Gärten, wenn auch in etwas ver-
wilderten und verwahrlosten Zügen aufbewahrt ist.
Der Tag, an dem diese Entdeckung gemacht werden
wird, wird ein Tag der Freude und der Trauer sein.
Denn er wird uns bei allem Glück über das wieder-
gefundene Göttergeschenk mit einer tiefen Be-
schämung über unsere heruntergekommene Kultur
erfüllen, die es zuwege brachte, dass wir uns mit
den traurigen Karikaturen, die unsere meisten Villen-
und öffentlichen Stadtgärten darstellen, zufrieden-
stellen konnten. V

V Der Kreis der Erscheinungen, der den heutigen
Stand der Dinge umschreibt, ist mit dem barocken
Garten noch nicht geschlossen. Bis dahin war der
Garten vorwiegend als Kunstprodukt aufgefasst
worden, nachmals wollte man in ihm vorwiegend ein
Naturprodukt sehen. Auf den architektonischen
Garten folgte der landschaftliche, der sogenannte
 
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