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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 5.1906

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Nr. 10
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Widmer, Karl: Wohnhausbauten von Curjel & Moser
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https://doi.org/10.11588/diglit.20726#0413
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Wohnhausbauten von Curjel & Moser

behandeln; bei den süddeutschen und schweizer
Häusern ist sie einheitlicher in den Gesamtorganis-
mus einbezogen, mit den Wohnräumen unter das
gleiche Dach zusammengerückt. Dadurch bekommt
das englische Haus eine einseitigere Ausdehnung
in die Breite als das deutsche, das sich in seiner
konzentrierteren Gesamtform gleichmässiger in die
Höhe und Breite entwickelt. Wie diese Konzen-
tration des Grundrisses der äussern Erscheinung
des Hauses eine grössere Geschlossenheit verleiht,
so macht sie sich im Innern als wohltuende Ruhe
und bequeme Aneinanderreihung der Zimmer geltend.
Ihren stärksten Ausdruck empfängt sie in der zen-
tralen Halle, dem grossen Mittelraum des Hauses,
in dem alle wichtigen Zugänge zu den übrigen
Zimmern des Erdgeschosses und die Herrschafts-
treppen zum obern Stockwerk münden. Die Halle
hat sich durch die grosse Beliebtheit, die sie bei
den Bewohnern des Hauses geniesst, in ihrer Zweck-
mässigkeit vollauf bewährt. Freilich mussten auch
hier erst gewisse Erfahrungen gewonnen werden,
um den grössten Raum des Hauses auch zum be-
vorzugtesten für das gesellige Zusammenleben der
Familie zu machen. Sie betreffen namentlich die
Behandlung der Fensterwand. Bei den ersten Hallen,
die in Deutschland gebaut wurden, wurde die Treppe
vielfach an die Fensterseite gerückt. Jetzt hält man
sich diese grundsätzlich frei und schafft sich damit
die Möglichkeit, hier angenehme Fensterplätze,
weite Lichtquellen, nach dem Garten und womög-
lich nach einer landschaftlich bevorzugten Um-
gebung gerichtet, anzubringen. Die Halle öffnet
sich breit nach aussen in einem grossen, oft die
ganze Fensterwand einnehmenden Fenstererker.
Von der Halle führt die Herrschaftstreppe, diskret
angebracht, nach oben. Für die Einteilung der
übrigen Zimmer ergibt sich ganz von selbst als das
Natürliche, dass im Erdgeschoss die eigentlichen
Wohnzimmer: das Herrenzimmer (das praktischer
Weise auch einen direkten Zugang vom Flur be-
kommt), der Salon, das Esszimmer u. s. w. sich um
die Halle gruppieren; die Schlafzimmer, Kinder-
zimmer, Badezimmer, Gastzimmer und darüber die
Dienstbotenzimmer nach oben verlegt werden. Be-
kanntlich hat es sich neuerdings als vorteilhaft
herausgestellt, auch die Waschküche und das Bügel-
zimmer nach oben in die nächste Nähe des Trocken-
speichers zu verlegen. Der ganze übrige Komplex
der Wirtschaftsräume bildet eine in sich zusammen-
hängende Flucht des Erdgeschosses (unter Umstän-
den befindet sich die Küche im Souterrain). Sie
sind in der Regel durch einen besondern Korridor,
der eine eigene Lichtquelle hat, von allen Wohn-
räumen getrennt und durch diesen Korridor mit

dem Hauseingang und der Garderobe verbunden.
Auch der Zugang von der Anrichte zum Esszimmer
führt durch diesen Gang. Damit ist der störende
Lärm der Dienstbotenarbeit, der Küchengeruch und
dergleichen von den Herrschaftsräumen ferngehalten.
Der ganze Dienstkanal geht besonders von der
Haustüre bis zur Küche. V
V So viel über die Gesamtanlage des Hauses. In
der Behandlung der einzelnen Räume tritt
mit dem Gesichtspunkt der Zweckmässigkeit auch
das künstlerische Moment immer stärker in den
Vordergrund. Ist schon die formale Abstufung der
Räume in Grösse und Gestalt (wozu vor allem auch
die richtige Abwechslung grosser und kleiner, langer
und breiter Zimmer gehört) ebenso sehr Sache eines
feinen künstlerischen Taktes wie eines sichern
praktischen Blicks, so tritt in der Behandlung der
Farbe das ästhetische Empfinden in sein volles un-
gebundenes Recht. Freilich: auch hier, wo dem
individuellen Geschmack unbeschränkte Freiheit
gegeben scheint, schafft sich doch auch eine all-
gemeine Norm Geltung, in der sich die Anfänge
einer modernen Tradition der Farbe ankündigen.
Auch hier ist es der Grundsatz der Ruhe und Ge-
schlossenheit. Nicht Buntheit, sondern Einheit der
Stimmung verlangt der moderne Innenraum. Form
und Farbe gehen darin miteinander parallel: in der
Form sucht die moderne Raumkunst ruhige ein-
fache Flächen mit sparsam verteiltem Ornament,
in der Farbe einen ruhigen, einheitlichen, den Raum
beherrschenden Grundklang mit sparsamer Ver-
wendung der starken Farbflecke zu konzentrierten
Akzenten. Die Träger des Grundklangs sind Wand
und Möbel (etwa so, dass das Holz der Möbel und
der Wandvertäfelung die eine, die Farbe der Tapete
oder des Anstrichs und der Möbelstoffe die andere
Note dieses Klangs angeben); die Akzente sind die
Bilder, Vasen, Teppiche, ein farbiges Kamin u. dergl.*)
Die Decken sind immer weiss. Schon dieses Gesetz
der farbigen Geschlossenheit der Raumstimmung
verlangt die künstlerische Einheit von Raum und
Mobiliar. Sie wird da am vollendetsten durch-
geführt sein, wo auch der Entwurf der Möbel und
der gesamten Ausstattung in die Hände des raum-
gestaltenden Künstlers gelegt ist. Mit den ästhe-
tischen Vorteilen dieser Einheitlichkeit von Haus
und Mobiliar gehen die praktischen Hand in Hand.
Sie liegen z. B. in der Einbeziehung der Schränke

*) Als Beispiel sei die farbige Behandlung des Esszimmers der Villa Rudolph,
Zürich angegeben: Hier bilden die hellblaugrünen Farben der Möbelstoffe
und die Wand mit dem hellgrau gebeizten Eichenholz den freundlichen
Grundklang. Dazu kommt ein grüner Kachelofen etc. Die beiden Schmal-
wände erhalten durch Grau und Silber einen lebhafteren Klang, der dem
Raum zugleich etwas Festliches verleiht. (Siehe „Mod. Bauformen" III. Jahr-
gang, Tafel 15.) Ein ähnliches Beispiel finden u. a. wir in dem Esszimmer
der Villa Weill in Karlsruhe.
 
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