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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 22.1923

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Nr. II
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Wilhelm-Kästner, Kurt: Zu den Arbeiten von Architekt Bruno Schneidereit, B.D.A., Berlin-Friedenau
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https://doi.org/10.11588/diglit.61847#0065

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33
ZU DEN ARBEITEN VON
ARCHITEKT BRUNO SCHNEIDEREIT, B.D.A., BERLIN - FRIEDEN AU
Von Dr, Wilhelm-Kästner, Berlin

Was bewundern wir an den Bauwerken der Romantik
und der Gotik? Warum zieht uns der rauschende
Schwung eines Barockbaues so ganz in seinen Bann? Und
weshalb haftet unser Blick gefesselt auf indischen Kunst-
werken? Es ist die Einheit eines großen Kunstwollens,
die aus all diesen Werken zu uns spricht. Sie haben „Stil“,
d. h. sie sind nicht verstandesmäßig ertüftelte, originelle
Kunstexperimente, sondern organisch gewachsene, von
innen heraus gestaltete Schöpfungen. Ein wesentliches
Moment dieser Kunstepochen ist, daß die Architektur die
beherrschende Stellung einnimmt und Plastik und Malerei
durch sie gebunden sind. Hieraus ergab sich als eine
gewisse Selbstverständlichkeit, daß ein Künstler — ein
Meister - auch in allen Kunstzweigen bewandert sein
mußte, um eben die einheitliche Gestaltung eines Baues,
eines Raumes bis in alle Einzelheiten durchführen zu
können. Zum Künstlertum gehört nun doch einmal neben
der schöpferischen Idee die unbedingte Beherrschung des
Handwerklichen, um auch die Gestaltungselemente der
einzelnen Aufgaben sicher zu erkennen.
Ein Meister in diesem Sinn ist Bruno Schneidereit: er
ist Baumeister, Bildhauer und Maler. Schon der erste
flüchtige Blick auf unsere Bilder lehrt das. Er führt uns
keine modernen Mätzchen vor Augen, die alten Formen
angeheftet und aufgeklebt sind, wie es so manche moderne
Architekten erkennen lassen; denn sie wollen ja die „Mode“
mitmachen. Schneidereits Arbeiten zeigen, daß er mit seinen
Werken lebt, daß sie aus seiner Idee heraus Form wurden
und ihnen Seele innewohnt. Die Einzelglieder und Teile
lösen sich nicht etwa aus dem Ganzen heraus; selbst im
Bild isoliert, wie z. T. auf unseren Abbildungen, wahren sie
noch die Verbindung mit dem Ganzen, geben sie sich als
organisches Glied des Gesamtwerkes kund. Man betrachte
z. B. nur einmal die Wand mit der Tür im Ankleidezimmer.
Wie selbstverständlich sitzt der Türrahmen in der Fläche,
seine Formen müssen so sein! Das ist das Werk des
Architekten.— Als Plastiker modellierte Schneidereit aber
das Rahmenprofil in schöner Kehlung und ließ aus ihr die
Abschlußleiste mit seinem Schnitzwerk erwachsen. Die
Schnitzerei ist reich, aber keineswegs üppig; sie ist, was
sie sein soll — eine stilvolle Dekoration.
Doch schauen wir erst zum Ganzen hin, ehe wir Einzel-
heiten betrachten. Der Wintergarten: Prägnant klar ist die
Architektur gezeichnet. Nischen und Türöffnungen, glatte
Wandflächen und Heizkörperverkleidungen fügen sich zur
Einheit des Raumes zusammen. Das plastische Ornament
der Gewölbezwickel sitzt als solches auch wirklich in der
Fläche drin und nimmt in seiner Linienführung den großen
Rhythmus der Wandarkaden auf. (Das tritt im ausgeführten
Werk noch besser in Erscheinung als im farbigen Entwurf.)
Und demselben großen Schwünge folgt der Fußbodenbelag
(s. färb. Entwurf) und die Blumenbänke und der Brunnen.—
Ebenso einfach und sicher gezeichnet als Ganzes ist auch
das Schlafzimmer der Schauspielerin.

Die Einzelformen offenbaren den gleichen Geist klaren
Aufbaues, der der Gesamtanlage zugrunde liegt. Besonders
charakteristisch ist der Gedenkstein des Ehrenfriedhofes.
Der quadratische Pfeilerkern schwillt wie eine Vase um
ein weniges an und läßt knospenartig die oberen Platten
zweier schwächerer Vierkante herauswachsen. Ganz ver-
wandt ist die Form der Standuhr, deren Kuben sich
organisch durchdringen. Überhaupt scheintdas vorwiegende
Gestaltungsprinzip der Werke Schneidereits das des
organischen Wachstums zu sein. Man betrachte daraufhin
einmal die Heizkörperverkleidungen und Deckenornamente
des Wintergartens im einzelnen. Nicht etwa, daß hier auf
die Verwandtschaft mit gewissen pflanzlichen oder kristal-
lischen Motiven verwiesen sein soll. Entscheidend ist das
Grundgefühl, das der plastischen Gestaltung der Einzelteile
eigen ist. Ein Glied ist in Bezug gesetzt zum anderen, eins
bedingte das andere. So gehen denn z. B. menschliche
Figuren oder Tier- und Pflanzenornamente durchaus mit
dem abstrakten Liniengefüge des ganzen Dekors zusammen.
Ganz vortrefflich die Türfüllung des Schlafzimmers in ihrer
in sich geschlossenen Komposition! Plastisch einheitlich
empfunden ist auch der Beleuchtungskörper der Diele,
blütenhaft sprühend dagegen der des Schlafzimmers.
Sichere Beherrschung des Aufbaues und der Form offen-
baren auch die beiden Büfetts. Das eingebaute Büfett bildet
den Abschluß der einen Schmalseite des Speisezimmers.
In bewegtem Kontur nimmt die Wand die Schränke in sich
auf, nur die Anrichte legt sich dem hohen Mittelfeld als
Podest vor, die konchenartige Nischung so dem Raume
einbeziehend. Der strengen Gliederung und sparsamen
Ornamentik der Seitentüren steht die reichere Dekoration
des geschwungenen Mittelteils gegenüber, der dadurch
eine besondere Betonung erfährt. — Den Charakter des
Einzelmöbels mit deutlicherer Zweckbestimmung vertritt
das freistehende Büfett stärker. Die plastische Gestaltung
der Front klingt in der gebrochenen Abfasung der äußeren
Kanten nach, die dadurch zugleich die glatten Holzflächen
der Vorderseite zusammenfassen.
Über Schneidereit als Bildhauer an sich und als Maler
etwas zu sagen, überschritte den Rahmen unseres kurzen
Begleittextes, aber die dekorativen Plastiken lassen aus
ihren figürlichen Motiven schon das deutliche Bild ge-
winnen, daß Schneidereits Vielseitigkeit nicht auf Kosten
der Qualität der einzelnen Werke besteht. Dasselbe gilt
auch von dem Maler, der uns hier als Praktiker in farbigen
Entwürfen entgegentritt. Sie verraten den stark ausgeprägten
Farbensinn des Meisters, der den Raum plastisch dekorativ
zu beleben und in das Festgewand der Farbe zu kleiden ver-
steht. Bruno Schneidereit ist als Baumeister und Künstler
durchaus in die Reihe der Führenden unserer Zeit zu stellen
— wenn er sich auch selbst bescheiden zurückhält; seine
Werke beweisen sein hervorragendes Können und seineFüh-
rerstellung,zumal,wenn man bedenkt,daßdiehierabgebilde-
ten Werke zumeist schon vor dem Kriege entstanden sind.

MOD. BAUFORMEN 1923. II, 1.
 
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