Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 25.1926

DOI issue:
Nr. X
DOI article:
Wilhelm-Kästner, Kurt: Ein Hausumbau von Architekt B.D.A. Dr.-Ing. Paul Zucker, Charlottenburg
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.61845#0471

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
365

EIN HAUSUMBAU VON ARCHITEKT B.D.A.
DR.-ING. PAUL ZUCKER, CHARLOTTENBURG

Mit einem gewissen Unbehagen wird wohl jeder Archi-
tekt vor der Aufgabe eines Umbaues stehen. Sind
doch hier der freien künstlerischen Gestaltung starke
Bindungen auferlegt, — Hemmungen sind gegeben, die
oft nur durch mehr oder minder erquickliche Kompro-
misse und Konzessionen überwunden werden können.
Die freie Konzeption eines Entwurfs bietet ganz andere
Möglichkeiten konsequenter und organischer Lösung der
Aufgabe, da hier die innere künstlerische Einheit des
Werkes klar und rein zum Ausdruck gebracht werden
kann. Doch eines muß man hierbei bedenken: selbst
der freieste Entwurf kann der sachlichen praktischen
Grundlagen nicht entbehren, kann ohne Berücksichtigung
der reinen Zweckbedingungen nicht erstehen, wenn er
nicht reines Phantasieprodukt, ein utopistisches Gebilde
bleiben soll. Insofern bedeutet also ein Umbau nur eine
enger umgrenzte Aufgabe, bei der die Voraussetzungen
bereits ganz bestimmt formuliert und nur einige Ele-
mente zu eliminieren sind, um die Basis des Auf- und
Ausbaues zu finden. Natürlich spricht der Umfang und
die Ausdehnung des Umbaues hierbei stark mit: in dem
einen Falle kann der Umbau einer völligen Neugestaltung
des Hauses gleichkommen, im anderen Falle wird nur
eine bloße dekorative Umfrisierung im modernen Sinne
zur Frage stehen. Es ist ohne weiteres klar, daß in der
engen Beschränkung der letzteren Möglichkeit zugleich
eine starke einseitige Beengung der künstlerischen Be-
tätigung beschlossen liegt. Bei einer grundlegenden Neu-
gestaltung eines Hauses kann sich die künstlerische In-
dividualität in jeder Richtung hin auswirken und dem Bau
ihren eigenen Stempel aufprägen.
Diese Möglichkeit war dem Architekten Dr.-Ing. Paul
Zucker, Charlottenburg, beim Umbau des Hauses K.
in Berlin W in reichem Maße gegeben, so daß es sich
im Grunde mehr um einen neuen Ausbau handelte, zumal
auf das zweistöckige Haus noch ein drittes Geschoß auf-
gestockt werden sollte. Außerdem kam als weiteres
günstiges Moment hinzu, daß dem Architekten bei der
Ausführung reiche Mittel zur Verfügung standen, wo-
durch die Verwendung eines einwandfreien, künstlerisch
hochwertigen Materials gewährleistet war.
Eine so großzügig gefaßte Aufgabe stellt nun aber
den Künstler unbedingt vor eine grundsätzliche Frage:
die Stilfrage! Bekennt er sich zu einer radikalen Um-
formung im Sinne modernster Bauschöpfungen oder er-
kennt er das Gebot der Tradition an und empfindet zu-
gleich den Reiz feinsinnigen Einfühlens und sinngemäßen
modernen Nachschaffens? Nun ja, die Entscheidung ist
Auffassungssache: entweder absolute Subjektivität gegen-
wärtigen Zeitstiles, — für die Ausführung des Umbaues
heißt dies völlige Negierung der bestehenden Formen
oder Vergewaltigung des vorhandenen Baukörpers —,
oder sicheres Stilempfinden auf den Grundlagen der

guten Tradition, — dies bedeutet für den Umbau An-
erkennung der künstlerischen Gegebenheiten und ihre
Verwertung in freier, vom modernen Geiste getragener
Kombination, um so eine neue künstlerische Einheit ent-
stehen zu lassen. In den meisten Fällen wird der Archi-
tekt den letzten Weg einschlagen, wenn er den Sinn
der Umbauaufgabe recht erfaßt und nicht in Willkür-
lichkeiten ausarten will. Ein Blick auf unsere Abbildungen
lehrt, daß Dr. Zucker den sinngemäßen Weg beschritten
und mit feinem Verständnis aus dem alten Bau heraus-
geholt hat, was er an künstlerischen Gestaltungsmöglich-
keiten bot. Hierbei erschließt sich uns aber auch zugleich
die Erkenntnis, daß ein solcher Umbau ein ganz be-
sonderer Prüfstein für das künstlerische Feingefühl des
Baumeisters ist, denn bei derartiger konkreter Aufgabe
treten alle Vorzüge künstlerisch einwandfreier Lösung
besonders klar zutage, während hingegen Mängel zu
leicht auf Kosten des alten Baues entschuldigt zu werden
pflegen. Dr. Zucker hat für sich in diesem Umbau über-
zeugend erwiesen, daß er eine restlose künstlerische
Neugestaltung des alten Baues zu geben wußte.
Das Haus, das mit seiner flachen, klassizistisch an-
mutenden alten Fassade ein ziemlich gedankenloses Ge-
sicht zeigte, hat mit der neugeprägten Form einen ganz
anderen Ausdruck gewonnen. Ein völlig neuer Baukörper
scheint erstanden zu sein, obwohl an der Grundform
des Hauses nichts geändert wurde, denn deutlich ist die
Aufstockung vom alten Bau abgesetzt. Als wenn eine
zielbewußte Hand ordnend und zusammenfassend in ein
gestaltloses Einerlei gegriffen hätte, so verändert und
zur Form gebracht treten uns jetzt die Fenstergruppen
entgegen. Ja, man erkennt es sofort, hier hat eine starke
künstlerische Gestaltungskraft aus einem belanglosen Pro-
dukt architektonischer Stilnachahmung desl9.Jahrhunderts
einen durchaus modernen Baukörper geschaffen, aus dem
ein völlig neues Raum- und Körpergefühl und rhythmi-
sches Empfinden spricht. Die bisher flache Fassade hat
Tiefe bekommen und steht in ihrer Aufteilung in un-
bedingtem Zusammenhang mit der räumlichen Gruppierung
im Innern. Eine innere Gesetzmäßigkeit bindet die innere
Raumeinteilung mit der äußeren Gliederung zu einer
organischen Einheit zusammen und verleiht dem Ganzen
den geschlossenen, von innen heraus empfundenen Aus-
druck. Architektur ist hier nicht mehr tektonische Kon-
struktion auf der einen Seite und ornamentale Fassaden-
belebung auf der anderen, sondern Architektur ist Raum-
gestaltung im vollen Sinne des Wortes. Und daß hier-
bei die Frage des Ornaments eine durchaus unterge-
ordnete Rolle spielen muß, ist selbstverständlich. Auf
die große kubische Form kommt es jetzt in erster Linie
an, auf die große Wirkung der Wände und deren rhyth-
mische Gliederung. Nur markant abgesetzte Profile und
Gesimse beleben die Fläche und bringen durch ihre Mo-
 
Annotationen