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Moller, Georg; Gladbach, Ernst
Denkmähler der deutschen Baukunst (Band 1): Beiträge zur Kenntniss der deutschen Baukunst des Mittelalters: enthaltend eine chronologisch geordnete Reihe von Werken, aus dem Zeitraume vom achten bis zum sechszehnten Jahrhundert von Georg Moller — Darmstadt, 1821

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https://doi.org/10.11588/diglit.8366#0017
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Schicksal sie in ihrer Entwickelung wie in ihrem Verfalle theilt. Die Baukunst, deren Aus-
übung mehr noch als die jeder andern Kunst durch äussere Umstünde bedingt wird, ent-
wickelt sich nur langsam und stufenweise. Die Schöpfungen des gröfsten Genies wer-
den immer durch den Einflufs der Zeit, welcher es angehört, modificirt werden, so,
dafs das beste und vollkommenste Werk nur als das Resultat einer fortgesetzten Bildung
mehrerer Generationen angesehen werden mufs, und die genaue Vergleichung einer Reihe
von Werken der Baukunst, verbunden mit Geschiehtsstudium zeigt uns den einzigen
sichern Weg an, die Entwikelung der verschiedenen Bauarten zu verfolgen. Sind durch
solche Untersuchungen die Hauptperioden der Kunstausbildung mit Sorgfalt und histori-
scher Kritik bestimmt, so wird es dann leichter werden, den einzelnen, wiewohl ab-
weichenden Werken ihren Platz anzuweisen.

Was die Benennung der verschiedenen Bauarten betritt, welche sich in Europa
nach dem Verfalle der römischen Baukunst entwickelten, und bis zum 16. Jahrhundert
üblich waren, wo sie durch die neuere griechisch römische verdrängt wurden, so be-
griff man dieselben lange unter dem allgemeinen Namen: gothische Bauart. Später
wurde dieser Name nur auf den im 1 3. Jahrhundert herrschend werdenden Spitzbogen-
styl angewendet. Es ist jetzt bekannt genug, dafs dieser Name: gothische Bauart,
nicht passend ist; da aber die bisher versuchten andern Benennungen byzantinische,
sächsische und deutsche Bauart, theils nicht allgemein angenommen, theiis nicht be-
stimmt genug sind, so werde ich mich begnügen, die Bauarten jedesmal nach dem Jahr-
hundert und in dem Lande in welchem sie blüheten zu bezeichnen. Was aber die
Frage betrifft, wem das Verdienst der Erfindung und Vervollkommnung der Kunst
zuzuschreiben sey , so dürften vielleicht folgende Bemerkungen, wenn sie gleich mehr
artistisch als historisch sind, bei dieser Untersuchung von Einflufs seyn.

Die Formen der Baukunst sind ursprünglich nichts weniger als willkührlich und
zufallig. Klima, Material und Charakter des Volks wirken wesentlich auf dieselben
ein und bilden die manigfachen Erscheinungen , welche eben so verschieden sind, ah
die Physionomien der Länder und der Zustand der Völker. Alles was sich aus diesem
entwickelt, wird in seiner Art eigenthümlich und in Harmonie mit sich selbst seyn.
Alle Kunst, welche dagegen unter fremden Nationen, verschiedenem Klima und ver-
schiedenen Zeitumständen entstanden ist, und auf andere Völker und Länder über-
tragen wird , behält so lange den Charakter des Unpassenden und Unzusammenhängenden,
bis es mit der Zeit dem Talent gelingt, dieselben sich anzueignen und daraus eine neue
volksthiimliche und consequente Kunst zu bilden. — Nimmt man das Vorstehende als
richtig an, so wird dasjenige Volk das Verdienst einer eigenthümlichen Baukunst iu
Anspruch nehmen können, dessen Werke
 
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