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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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W. Vöge. Der Meister des Blaubeurer Hochaltars und seine Madonnen 19

gewesen. Ist anzunehmen, daß er ein berühmter
Madonnenmeister war, der nach Augsburger Klöstern
exportierte?
Jene Ähnlichkeiten wird man auch aus der
Gemeinsamkeit der Schule oder des Lehrers begreifen.
M. Schuette nimmt an, daß Sürlin d. Ä. der Lehrer
auch des Blaubeurers war, wie er ja sicher der des
Sohnes gewesen ist. Zu untersuchen wäre zwar, ob
hier nicht eher ein anderer Ulmer in Frage kommt,
der edle Tiefenbronner (von 1469)!
Die hohe Bedeutung der Blaubeurer Skulpturen
für die Forschung liegt, denke ich, in der Fülle von


Abb. 9. Der heil. Benedikt
Blaubeurer Hochaltar

Perspektiven, die sie eröffnen, nicht nur nach Augsburg, auch nach Ravensburg, ja
nach Franken hin, auf den jungen Riemenschneider. Einzelne Köpfe des Altares
kommen denen der Ravensburger Mantelmadonna (Berlin, K.-Friedrich-Mus.) ganz
nahe.1) Andere streifen so auffallend an die des jugendlichen Riemenschneider, daß
ich an persönliche Beziehungen glauben möchte, sei es, daß Riemenschneider bei dem
Blaubeurer oder etwa mit ihm bei einem Dritten gearbeitet hat.
Unser Wissen in diesen Dingen ist noch auf einer kindlichen Stufe. Wir lassen
die großen Meister auftreten wie das Mysterienspiel seine Propheten, unvermittelt.
Woher die Kunst des alten Sürlin war, woher Stoß, oder Adam Kraft, wir fragen
kaum danach.
Riemenschneider entnahm gelegentlich die Idee zu seinen Kompositionen
Schongauerschen Stichen,2) auch sonst mag Schongauer ihm etwas gewesen sein.3)
Doch scheint mir sein Kopfideal mit dem Schongauerschen nicht viel zu tun zu haben.
Was wäre verschiedener als Schongauers gereimte Lippen und Riemenschneiders ver-
sagender Mund. Man sehe dagegen, wie sehr die Creglinger Maria (Abb. 8) und
die Blaubeurer sich ähneln. Schongauers Köpfe haben solch hochliegende Brauen gar
nicht, vielmehr gern schlank gezeichnete, niedrig laufende, wie sie fest umgrenzten
Naturen eignen.
Übrigens sind zwischen Jen zahlreichen, aber auf wenige Typen gehenden
Madonnen Riemenschneiders und den paar uns be-
kannten — aber immer anders erfundenen — des
9 Zu vgl. z. B. der des Evangelisten Johannes auf der
Predella mit dem jugendlichen Lockenkopf links auf der
Madonnengruppe.
2) Amüsant ist der Fall des Verkündigungsaltars in Bibra,
den zwar Tönnies nur als eine Schularbeit gelten lassen
will: die Madonna (mit der feinfühligen Hand) geht auf
Schongauers berühmtes Blatt B. 3, der Engel dagegen auf
den großen Verkündigungsengel B. 1 Zug um Zug zurück.
") Vgl. dazu Tönnies, Leben und Werke des Würz-
burger Bildschnitzers Tilmann Riemenschneider, Straßburg,
Heitz, 1900, S. 47.


Abb. 10. Tilmann Riemenschneider
Johannes von Münnerstadter
Altar n
□ Phot. DR. STOEDTNER
 
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