48
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Unterschiede in der Ausstattung der Bücher vor und nach Bernhards Austritt in die
Augen fallen. In den Jahren 1476—78 finden wir fast bei jedem Drucke neue Bor-
düren und Initialen, immer eine prächtiger als die andere. Noch im Anfänge des
Jahres 1478 erschien eine herrliche Bordüre1) und ein neues Initialenalphabet.-) In
dieser Hinsicht tritt aber nach Bernhards Ausscheiden aus der Firma eine bedeutsame
Änderung ein. Damit soll nicht etwa behauptet werden, daß nach 1478 überhaupt
Ratdolts Tätigkeit erlahmt sei. Er bringt noch immer eine große Anzahl neuer Typen-
alphabete heraus, verwendet auch eifrig die alten Bordüren und Initialen, deren Holz-
stöcke er, um Abwechslung zu schaffen, in verschiedenen Farben (besonders rot und
gold) wiederholt abdruckte. Dagegen ist sein neuer Buchschmuck recht ärmlich im
Vergleich mit dem der vorhergehenden Jahre. Noch einmal verwendet er im Jahre
1482 eine neue Bordüre.") Diese steht jedoch künstlerisch lange nicht so hoch als die
älteren Zierleisten und zeigt die stilistischen Merkmale eines ganz anderen Meisters.
Sie enthält ziemlich verschrobene, maureske Knotenornamente, die plump und mit
wenig Stilgefühl über den Raum verteilt sind. Ich glaube in ihr die Hand eines
Künstlers zu erkennen, der später die Bordüre für die 1494 in Venedig erschienene
Ausgabe der „Arithmetica" des Luca Pacioli4) gezeichnet hat. Außerdem kommen
während Ratdolts venezianischer Druckertätigkeit überhaupt keine neuen Bordüren zur
Verwendung. Ähnlich verhält es sich mit den Initialen. Im „Fasciculus temporum" vom
Jahre 14805) bringt er eine neue Initiale „G".6) Diese ist jedoch nur einem Zierbuch-
staben nachgezeichnet, der sich in einer ein Jahr früher in Venedig bei dem Buch-
drucker Georg Walch erschienenen Ausgabe7) desselben Werkes findet, wie überhaupt
der Ratdoltsche „Fasciculus", sowohl textlich, als in seiner Ausstattung nur eine ziem-
lich getreue Kopie dieser früheren Ausgabe ist. Noch weniger künstlerischen Wert
hat eine ganz kleine Initiale „S",8) die in „Euclides, Elementa" vom Jahre 14829)
auftritt und ganz roh nach dem Muster früherer Initialen entworfen ist, — wie die
stilistische Unbeholfenheit beweist, das Werk eines ganz unbedeutenden Formschneiders.
Das ist alles, was Ratdolt in den späteren Jahren seiner venezianischen Tätigkeit von
neuem Buchschmuck herausgebracht hat. Wie hilflos er nach dem Austritte Bernhards
war, zeigt sich darin, daß er dort, wo sein alter Initialenvorrat nicht ausreichte, und
er durch den Text gezwungen war, mehrmals denselben Buchstaben auf einer Seite
zu drucken, einfache Lombarden (schmucklose große Metallbuchstaben)10) verwendete,
9 Abg. bei Redgrave a. a. 0., Tafel VI.
2) Vgl. Redgrave a. a. 0., Tafel VIII.
4 In Müller, Calendarium. Hain 13777. Redgrave a. a. 0., S. 26, Borders 7 bezeichnet
sie als „poor work". Abg. Prince d'Essling, Livres ä figures venitiens, T. I, Florence et Paris
1909. S. 242.
9 Hain 4105.
5) Hain 6926.
6) Abg. Redgrave a. a. 0., Tafel IV.
ß Hain 6924.
8) Vgl. Redgrave a. a. 0., S. 27, Nr. 6.
9) Hain 6693.
10) Siehe Redgrave a. a. 0., S. 27, Nr. 7—10.
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Unterschiede in der Ausstattung der Bücher vor und nach Bernhards Austritt in die
Augen fallen. In den Jahren 1476—78 finden wir fast bei jedem Drucke neue Bor-
düren und Initialen, immer eine prächtiger als die andere. Noch im Anfänge des
Jahres 1478 erschien eine herrliche Bordüre1) und ein neues Initialenalphabet.-) In
dieser Hinsicht tritt aber nach Bernhards Ausscheiden aus der Firma eine bedeutsame
Änderung ein. Damit soll nicht etwa behauptet werden, daß nach 1478 überhaupt
Ratdolts Tätigkeit erlahmt sei. Er bringt noch immer eine große Anzahl neuer Typen-
alphabete heraus, verwendet auch eifrig die alten Bordüren und Initialen, deren Holz-
stöcke er, um Abwechslung zu schaffen, in verschiedenen Farben (besonders rot und
gold) wiederholt abdruckte. Dagegen ist sein neuer Buchschmuck recht ärmlich im
Vergleich mit dem der vorhergehenden Jahre. Noch einmal verwendet er im Jahre
1482 eine neue Bordüre.") Diese steht jedoch künstlerisch lange nicht so hoch als die
älteren Zierleisten und zeigt die stilistischen Merkmale eines ganz anderen Meisters.
Sie enthält ziemlich verschrobene, maureske Knotenornamente, die plump und mit
wenig Stilgefühl über den Raum verteilt sind. Ich glaube in ihr die Hand eines
Künstlers zu erkennen, der später die Bordüre für die 1494 in Venedig erschienene
Ausgabe der „Arithmetica" des Luca Pacioli4) gezeichnet hat. Außerdem kommen
während Ratdolts venezianischer Druckertätigkeit überhaupt keine neuen Bordüren zur
Verwendung. Ähnlich verhält es sich mit den Initialen. Im „Fasciculus temporum" vom
Jahre 14805) bringt er eine neue Initiale „G".6) Diese ist jedoch nur einem Zierbuch-
staben nachgezeichnet, der sich in einer ein Jahr früher in Venedig bei dem Buch-
drucker Georg Walch erschienenen Ausgabe7) desselben Werkes findet, wie überhaupt
der Ratdoltsche „Fasciculus", sowohl textlich, als in seiner Ausstattung nur eine ziem-
lich getreue Kopie dieser früheren Ausgabe ist. Noch weniger künstlerischen Wert
hat eine ganz kleine Initiale „S",8) die in „Euclides, Elementa" vom Jahre 14829)
auftritt und ganz roh nach dem Muster früherer Initialen entworfen ist, — wie die
stilistische Unbeholfenheit beweist, das Werk eines ganz unbedeutenden Formschneiders.
Das ist alles, was Ratdolt in den späteren Jahren seiner venezianischen Tätigkeit von
neuem Buchschmuck herausgebracht hat. Wie hilflos er nach dem Austritte Bernhards
war, zeigt sich darin, daß er dort, wo sein alter Initialenvorrat nicht ausreichte, und
er durch den Text gezwungen war, mehrmals denselben Buchstaben auf einer Seite
zu drucken, einfache Lombarden (schmucklose große Metallbuchstaben)10) verwendete,
9 Abg. bei Redgrave a. a. 0., Tafel VI.
2) Vgl. Redgrave a. a. 0., Tafel VIII.
4 In Müller, Calendarium. Hain 13777. Redgrave a. a. 0., S. 26, Borders 7 bezeichnet
sie als „poor work". Abg. Prince d'Essling, Livres ä figures venitiens, T. I, Florence et Paris
1909. S. 242.
9 Hain 4105.
5) Hain 6926.
6) Abg. Redgrave a. a. 0., Tafel IV.
ß Hain 6924.
8) Vgl. Redgrave a. a. 0., S. 27, Nr. 6.
9) Hain 6693.
10) Siehe Redgrave a. a. 0., S. 27, Nr. 7—10.