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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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K. Borinski. La Chastelaine de Vergy in der Kunst des Mittelalters 61

3) führt wieder in das herzogliche Ehegemach. Der Herzog, dessen legere
Beinhaltung seine Kapitulation vor seiner (gekrönten) Frau anzeigt, beschwört sie mit
Handschlag und aufgehobenem Zeigefinger nichts zu verraten, was sie mit der Hand
auf dem Herzen bekräftigt.
4) kann kaum erklärt werden, wenn man nicht auf den altfranzösischen Text
zurückgeht. Und auch in diesem wird einem erst nach einigem Besinnen die Stelle
deutlich, die dem Künstler bei der Szene vorgeschwebt hat. Sie ist keineswegs sehr
dramatisch. Es handelt sich in ihr nur um die Botschaft, die der Herzog an die
Damen seines Hofes und in erster Linie an seine Nichte erläßt, sie zu sich einzuladen.
Ed. Raynaud v. 684 sq.:
. . . Que li dus tint cort mout pleniere,
Si qu'il enovia par tont querre
Toutes les dames de la terre
Et sa niece tout premeraine
Qui de Vergi est chastelaine.


Der Künstler hat als echter mittelalterlicher Epiker diese Szene zur Motivierung
des Erscheinens der Chätelaine am Hofe nicht missen mögen. Ein gegürteter Bote,
der Tracht (besonders des Haares!) und der Ähnlichkeit nach ihr Ritter, übergibt ihr
kniend einen groß gesiegelten Brief, den sie, nachdenklich die Augen abwendend,
zögernd (kaum zufassend) annimmt.
Nun mußte die Hauptszene zwischen den beiden Rivalinnen — die Peripetie
der kleinen Tragödie kommen. Jedoch sie fehlt. Der Künstler hat sich offenbar die
Charakterisierung der beiden Feindinnen, von denen die eine die andere durch ein
hingeworfenes Wörtclien zu Tode kränkt, nicht
zugetraut — zumal in seinem spröden Material.
Er hilft sich damit,
c) bloß die große Damencour durch einen
Reigentanz von Frauen zwischen festlichen Musi-
kanten darzustellen. (Eine der Schmalseiten des
Kästchens.) In den beiden mittleren Frauen darf
man nach Ähnlichkeit und Haarputz (Diadem
der einen, Krone der andern) wohl die beiden
Rivalinnen erkennen.
Nun folgt erst
B, die bei dem englischen Herausgeber
gleich auf den Deckel folgende vordere Breit-
seite des Kästchens. Daß es die vordere ist,

und vom Künstler gleich als solche geplant war, erkennt man an dem quadratischen
Plättchen für das Schlüsselloch, nach dem sich die angrenzenden Kompositionen richten.
Die Einteilung der Felder erfolgt im Übrigen wie bei E durch die parallelen Stäbe:
1) zeigt die Chätelaine bereits vom Feste entfernt in ihrem Gemache hin-
 
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