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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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A. Feigel. San Pietro in Civate

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liehen Veränderungen zunächst bedingt waren. Daß die Tätigkeit des Lombarden
jüngeren Datums ist, wird auch aus folgendem Grunde wahrscheinlich. Die Platte mit
dem Marientod (Abb. 10), die wegen ihrer unbeholfenen Ausführung sicherlich nicht
dem fremden, sondern dem einheimischen Künstler zuzuschreiben ist, verdeckt ein
Fenster, das durch die Treppe, welche außen an die neugebrochene Tür angelegt
wurde, verdunkelt und deshalb wertlos geworden war. Mithin wurde diese Arbeit
erst nach den fertiggestellten baulichen Veränderungen vorgenommen. Als Anfangs-
termin für die künstlerische Tätigkeit des fremden Meisters glaube ich die 90er Jahre
des XI. Jahrhunderts annehmen zu dürfen und zwar aus folgender Überlegung. Im
Jahre 1093 wurde Arnolfo de'Capitani zum Erzbischof von Mailand gewählt aber nicht
vom Papste bestätigt. Dieser ließ ihn durch seinen Legaten absetzen. Arnolfo zog
sich in ein Kloster zurück, wo er zwei Jahre blieb; Papst Urban II. rief ihn 1095 nach
Mailand als Erzbischof zurück; er starb am 24. September 1096 und wurde in Civate
beigesesetzt. (Longoni: a. a. 0. S. 51). Der Schluß liegt nun nahe, dab er die 2 Jahre
seines Exils in Civate verbrachte; und auf seine Veranlassung könnte die Neuaus-
stattung der Klosterkirche zurückgehen. Die offenkundige Anlehnung an das Ciborium
von S. Ambrogio ist dann wohl auf einen Wunsch des Erzbischofs zurückzuführen.
Die Bedeutung von S. Pietro in Civate für eine noch zu schreibende Geschichte
der oberitalienischen Ornamentik im XI. und XII. Jahrhundert ist oben dargelegt worden.
Ich möchte seine Bedeutung auch noch nach einer anderen Seite hin skizzieren. Wer
sich mit der Geschichte der romanischen und den Anfängen der gotischen Skulpur be-
schäftigt, erkennt bald einen wie großen Anteil an der Entwicklung der Plastik dieser
Epoche die byzantinische Kunst genommen hat. Bis jetzt mußte man sich begnügen
als Träger solcher Einflüsse zumeist Werke der Kleinkunst, wie Elfenbeintafeln, an-
nehmen. So stark auch die Wirkung dieser Vorbilder auf die abendländischen Künstler
gewesen sein mag, so ist doch mit dem Hinweise auf diese allein die gewaltige Ent-
wicklung der Plastik im XII. Jahrhundert noch nicht erklärt. Die Monumentalfiguren
des Ciboriums von Civate füllen diese Lücke aus. Von besonderer Bedeutung er-
scheinen mir jedoch diese Skulpturen auch für unsere deutsche Plastik. Allenthalben
kann man nachweisen, einen wie großen Anteil die Comacini an dem Werden unserer
rheinischen Dome hatten. Auch für Sachsen müssen die Beziehungen mit Ober-
italien rege gewesen sein. Da nun mit dem Einsetzen einer lebhafteren Bautätigkeit
in jener Epoche zugleich auch das Erwachen einer neuen Plastik verbunden ist, so
kann man annehmen, daß die Comacini, die vielfach Anregungen zu der neuen
romanischen Ornamentik von Oberitalien mit herüberbrachten, auch Teil hatten an dem
Wiedererwachen der Plastik. Unsere Vermutung bekommt eine um so sichere Grund-
lage, wenn wir bedenken, daß die ersten Denkmale rheinischen (ich denke an die
Platten von Gustorf) und besonders der sächsischen Skulptur aus demselben Material,
nämlich aus Stuck bestehen, den wir in Civate fanden und der auch anderwärts in
Oberitalien vielfache Verwendung fand. Erst durch die Annahme solcher Beziehungen
wird das unvermittelte Auftreten von relativ hochstehenden Arbeiten, wie die Platten
von Gustorf oder die Skulpturen von Gröningen und Gernrode, erklärt.
 
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